Die Frau des Seiltaenzers
sie schließlich, nur um Zeit zu gewinnen.
»Ich meine, Ihr seid uns noch etwas schuldig«, wandte Giustiniani ein, »schließlich haben wir Euch vor Folter, möglicherweise sogar vor dem Scheiterhaufen gerettet!«
»Dafür danke ich Euch auch, Exzellenz. Aber ich weiß nicht, wie ich mich dafür erkenntlich zeigen könnte.«
»Verratet mir, wo Rudolfo die ›Bücher der Weisheit‹ versteckt hielt!«
Magdalena schüttelte den Kopf: »Ich weiß es nicht, hochwürdigster Herr Kardinal. Glaubt mir! Rudolfo hielt sich, was die Neun Unsichtbaren betraf, sehr bedeckt. Ihr habt recht, Rudolfo wurde von Trithemius zu seinem Nachfolger bestimmt. Das hat Rudolfo mir gestanden. Aber über die Folgen dieses seltsamen Erbes hat er nie gesprochen. Auch darüber nicht, wo die neun Bücher mit den geheimsten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Menschheit aufbewahrt werden.«
»Und das sollen wir Euch glauben, Jungfer Magdalena?« Der Kardinal blickte seinen Sekretär zweifelnd an.
»Ihr müsst mir glauben, Exzellenz«, erwiderte Magdalena. »Zugegeben, der Große Rudolfo wollte mich in die Geheimnisse der Neun Unsichtbaren einweihen. Als hätte er seinen frühen Tod geahnt, wollte er mich vielleicht sogar zu seiner Nachfolgerin bestimmen. Aber wie Ihr wisst, wurde Rudolfo das Opfer eines Mordanschlags, und es kam nicht mehr dazu.«
Für ein paar Augenblicke hatte Magdalena sich wieder in der Gewalt und richtete an den päpstlichen Legaten die Frage: »Was bezweckt Ihr eigentlich mit Euren Nachforschungen über die ›Bücher der Weisheit‹?« Und als Giustiniani, um eine Antwort verlegen,schwieg, fuhr sie fort: »Ich meine, das Elixier, von dem Ihr wissen wollt, kann es doch wohl nicht sein. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass Ihr oder Seine Heiligkeit Papst Clemens als Seiltänzer …« Sie hielt erschrocken inne.
Clemens! Das letzte Wort aus dem Munde des sterbenden Rudolfo! Magdalena dachte lange nach. So lange, bis sie die heisere Stimme Giustinianis in die Gegenwart zurückholte: »Wir wollen Euch die Wahrheit sagen, Jungfer. Die Steganographen der vatikanischen Bibliothek haben in den Kryptogrammen des Trithemius die Wörter ›der Tempelschatz des Königs Salomo‹ entschlüsselt. Die Geheimschriftgelehrten arbeiten noch immer daran – bisher leider erfolglos …« Der Kardinal geriet ins Stottern.
»Wie Ihr wisst«, ergriff Johannes Patrici für seinen Herrn das Wort, »hat Papst Julius mit seiner Bausucht die Kassen des Vatikans geleert. Mehr noch, er und seine Nachfolger Leo und Hadrian haben einen Schuldenberg angehäuft, der das Papsttum in Abhängigkeit seiner Gläubiger, der Borgias, der Fugger und anderer Geldverleiher gebracht hat. Die Auffindung des Tempelschatzes von König Salomo wäre deshalb für Seine Heiligkeit die Rettung aus höchster Not.«
Tausend Dinge schossen Magdalena durch den Kopf, Dinge, bei denen sich eines zum anderen fügte, und Dinge, die keinen Sinn ergaben. »Eines verstehe ich nicht«, murmelte sie halblaut vor sich hin – womit sie bei dem päpstlichen Legaten jedoch besondere Aufmerksamkeit erregte, »warum versucht Ihr ausgerechnet über mich an die ›Bücher der Weisheit‹ heranzukommen? Es gibt noch weitere acht Unsichtbare!«
»Jungfer Magdalena!«, rief Giustiniani entrüstet, »nennt mir einen von diesen acht. Gewiss, es gibt Vermutungen, aber jeder, den wir darauf ansprächen, würde seine Zugehörigkeit zu den Unsichtbaren empört leugnen. Trithemius indes hat sich in seinen Kryptogrammen selbst dazu bekannt. Warum, wissen wir nicht. Er und sein Nachfolger Rudolfo sind die einzigen Unsichtbaren, die sich –ohne es zu wollen – durch unglückliche Umstände verraten haben. Ich möchte Euch einen Vorschlag unterbreiten, Jungfer …«
Magdalena sah erst den Kardinal, dann den Palastprälaten fragend an.
Der Kardinal, der die Unterredung auf seine Ellenbogen gestützt und über den Tisch gebeugt geführt hatte, nahm auf seinem Lehnstuhl senkrechte Haltung ein und legte die Hände flach auf den Tisch, als wolle er eine Sache von höchster Wichtigkeit verkünden. »Wenn Ihr uns den Ort verratet, an dem Rudolfos ›Bücher der Weisheit‹ verborgen sind, soll es Euer Schaden nicht sein. Seine Heiligkeit Papst Clemens VII., in dessen Auftrag wir hier sind, ist an der Wissenschaft, an leuchtenden Pilzen, dem Unsichtbarmachen von Menschen und dem Elixier, welches die Anziehungskraft außer Kraft setzt, nicht im Geringsten interessiert. Auch das Gerede über
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