Die Frau des Seiltaenzers
– im Übrigen genauso versoffen wie sein geistlicher Herr – hat sich erboten, mich für einen Gulden Fahrgeld mit nach Würzburg zu nehmen. Dort will ich versuchen, ein neues Leben anzufangen.«
»Ein neues Leben …«, wiederholte Magdalena nachdenklich.
»Ja, ich habe schon so viele Dinge in meinem Leben gemacht, ich werde sicher auch in Würzburg eine Aufgabe finden, die ihren Mann ernährt. Vielleicht kann Bischof Konrad lesen und schreiben, was in seinen Kreisen keineswegs selbstverständlich ist, und verfügt über eine Ansammlung kostbarer Bücher, die einer Katalogisierung bedürfen. Wenn es sein muss, wäre ich aber auch bereit, in den bischöflichen Weinbergen neue Rebstöcke zu setzen oder seine illegitimen Kinder zu erziehen. Um meine Zukunft mache ich mir keine Sorgen.«
»Wie ich Euch beneide«, bemerkte Magdalena mit bitterem Unterton. »Ich wünschte, ich könnte wie Ihr von einem Tag auf den anderen alles hinter mir lassen und ein neues Leben beginnen.«
»Und warum tut Ihr es nicht? Oder steht Ihr bei jemandem in der Pflicht?«
»Das nicht«, antwortete Magdalena. Zwar hatte sie Schweinehirt von ihrer Verbindung mit Rudolfo erzählt und auch über dessen Zugehörigkeit zu einem Geheimbund, der ihn zu seiner außerordentlichen Kunst befähigte; aber dass sie selbst sich dieses Wissens bedient hatte, davon wusste er nichts.
»Was hindert Euch also daran, mit mir zu kommen?«, wandte Schweinehirt ein. »Der Weinkutscher hat sicher nichts dagegen, sich einen weiteren Gulden zu verdienen! Ich werde ihm noch heute Bescheid geben.«
»Ihr wisst nicht, was heute alles geschehen ist.«
Schweinehirts Gesichtszüge verfinsterten sich.
Stockend begann Magdalena zu berichten, wie die Dominikaner sie zum Verhör abgeholt, der Hexerei bezichtigt und einem Gottesurteil überantwortet hatten. Mit zitternder Stimme erzählte sie, wie Kurienkardinal Giustiniani und sein Sekretär Patrici aus heiterem Himmel aufgetaucht waren, um sie aus den Klauen der Canes domini zu befreien. Allerdings unter der Bedingung, sie müsse dem Legaten des Papstes den Aufbewahrungsort der ›Bücher der Weisheit‹ verraten.
»Die ›Bücher der Weisheit‹?« Der Bibliothekar blickte irritiert.
»Sie sind ein großes Geheimnis«, erklärte Magdalena. »Ohne zu übertreiben, möchte ich sogar sagen, sie beinhalten die größten Geheimnisse der Menschheit. Und ihre Hüter sind die Neun Unsichtbaren, neun ausgewählte Männer oder Frauen.«
Schweinehirt war sprachlos, jedenfalls dauerte es eine ganze Weile, bis er die Sprache wiederfand und die Frage stellte: »Und was habt Ihr mit Kurienkardinal Giustiniani, dem päpstlichen Legaten, zu schaffen?«
»Ihr könnt mir glauben oder nicht: Das wüsste ich auch gerne. Tatsache ist: Giustiniani glaubt, Rudolfo, der Seiltänzer, habe mich vor seinem Tod in die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Neun Unsichtbaren eingeweiht.«
»Und?« Magdalenas Zurückhaltung versetzte den Bibliothekar in Unruhe: »Seid Ihr nun eine der Neun Unsichtbaren?«
»Weit gefehlt. Zwar weiß ich manches über die Neun Unsichtbaren, aber weder kenne ich ihre Namen noch den Verbleib der Bücher.«
»Und Ihr seid sicher, dass Ihr keinem Schwindel aufgesessen seid?«, meinte Schweinehirt voll Misstrauen.
»Schwindel?« Magdalena wurde laut. »Warum, glaubt Ihr, hat mich der Herr Kurienkardinal aus den Klauen der Dominikaner befreit? Warum wohl? Giustiniani erwartet als Gegenleistung einenHinweis auf die ›Bücher der Weisheit‹, einen Hinweis, der Papst Clemens VII. von seinen Geldsorgen befreien soll.«
»Ich dachte, die Bücher enthalten wissenschaftliche Erkenntnisse und keine Geldquellen!«
»Angeblich aber auch Entdeckungen, welche geheim bleiben sollen. Zum Beispiel Hinweise auf den Tempelschatz des Königs Salomo. Er soll mehr Gold und Edelsteine enthalten als jeder andere Schatz auf der Welt. Allerdings ist er seit zweieinhalbtausend Jahren unauffindbar.«
»Und in den ›Büchern der Weisheit‹ steht geschrieben, wo er zu finden ist?«
Magdalena hob die Schultern und schwieg.
»Das alles«, meinte Schweinehirt, »ist Grund genug, Eberbach den Rücken zu kehren. Hierzubleiben erscheint mir in Eurer Lage viel zu gefährlich. Packt Eure Sachen, morgen, noch vor Sonnenaufgang, haben wir das Kloster hinter uns gelassen.«
War das die Rettung aus ihrer ausweglosen Situation? Allein, ohne die Hilfe eines Mannes, würde sie nicht weit kommen. Dessen war sich Magdalena bewusst. Und vom Gesandten
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