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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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hinter dem Kopf gefaltet, und zur Decke starrte, war es Abend geworden. Der dünne Klang der Vesperglocke rief zum Abendbrot. Aber Magdalena war der Hunger vergangen. Da ging die Türe auf.
    Ohne anzuklopfen, wie es im Kloster üblich war, trat Wendelin Schweinehirt ein, mit einem Ränzel bepackt. Magdalena setzte sichauf: »Was wollt Ihr?«, flüsterte sie ungehalten. »Ich habe Euch nicht gerufen.«
    »Mich nach Eurem Befinden erkundigen! Wie ich sehe, haben Euch die Dominikaner der Inquisition laufen lassen. Ich befürchtete schon das Schlimmste.«
    »Noch ist die Angelegenheit nicht ausgestanden«, entgegnete Magdalena. »Aber macht Euch um mich keine Sorgen!«
    »Verzeiht, Jungfer«, antwortete der Bibliothekar kleinlaut, »ich wollte Euch nicht erschrecken. Mir ist nur daran gelegen, Euch Lebewohl zu sagen. Morgen in aller Herrgottsfrühe werde ich Kloster Eberbach verlassen. Die Begegnung mit Euch war mir ein Vergnügen.« Und besorgt fügte er hinzu: »Darf ich mein Ränzel bei Euch lassen. In meiner Kammer würden meine gepackten Habseligkeiten allzu großes Aufsehen erregen.«
    Mit diesen Worten wandte er sich um und war schon im Begriff, sich zu entfernen, da rief Magdalena ihm hinterher: »He, Schweinehirt, wollt Ihr Euch nicht näher erklären? Ihr könnt doch nicht so einfach verschwinden. Wie kommt es zu Eurem schnellen Entschluss?«
    Schweinehirt wandte sich um und trat missmutig auf Magdalena zu: »Es war kein schneller Entschluss, Jungfer Magdalena, ich trug mich schon lange mit dem Gedanken, Eberbach zu verlassen. Zum einen, weil ich ein Mensch bin, den es nicht lange am selben Ort hält, zum anderen aber auch, weil ich seit eineinhalb Jahren für Gottes Lohn arbeite, und der ist bekanntlich der niedrigste auf Erden. Abt Nikolaus sagte mir zwölf Kreuzer die Woche zu, also zwei Gulden im Monat oder sechsunddreißig in eineinhalb Jahren; aber als ich ihn jüngst um meinen Lohn bat, warf er mir fünf Gulden vor die Füße und meinte, mehr sei meine Arbeit nicht wert gewesen. Schließlich hätte ich ein Dach über dem Kopf, und von der Magerkrankheit sei ich auch nicht gerade gezeichnet.«
    »Daher Eure schlechte Laune«, sagte Magdalena leise. »Ich dachte schon, sie richtete sich gegen mich!«
    »Wo denkt Ihr hin!« Wendelin schüttelte den Kopf. »Es fällt nur schwer, fröhlich zu sein, wenn ehrliche Arbeit so missachtet wird.«
    »Warum habt Ihr dem hohen geistlichen Herrn nicht die Meinung gesagt?«
    »Das hätte meine Lage nur verschlimmert. Nein, die Antwort wird der fromme Mann morgen erhalten, wenn ich nicht mehr da bin. Dann können sich die Herren Patres und Fatres ihre Bücher selbst hervorkramen, was ihnen jedoch nicht oder nur unter erheblichem Zeitaufwand gelingen wird …«
    Und auf Magdalenas unverständlichen Blick hin fuhr er flüsternd fort: »Ich habe nämlich die gesamte von mir erarbeitete Katalogisierung und Konkordanz durcheinandergebracht. Sie befindet sich jetzt wieder in dem Zustand, in welchem ich sie übernommen habe.«
    Magdalena musste herzlich lachen, und dieses Lachen wirkte ansteckend, weil Schadenfreude bekanntlich die reinste Freude ist.
    Als beide wieder zum Ernst der Lage zurückgefunden hatten, stellte Magdalena die Frage: »Und wohin soll Euch Euer Weg führen?«
    Wendelin Schweinehirt zögerte die Antwort hinaus, als überlegte er, ob er der Frau des Seiltänzers trauen konnte.
    »Entschuldigt«, kam ihm Magdalena zuvor, »es geht mich wirklich nichts an. Ich wollte Euch nicht in Verlegenheit bringen. Jedenfalls begleiten Euch meine ehrlichen Wünsche!«
    »Nein, nein«, erwiderte der Bibliothekar, »Ihr sollt ruhig wissen, wohin ich reise. Vielleicht begegnen wir uns einmal wieder. Die halbe Welt ist in diesen Zeiten auf Wanderschaft. Hört zu: Im Hofgut vor den Mauern des Klosters wartet ein mit vier Weinfässern beladener Wagen für Bischof Konrad von Würzburg. Seine Gnaden machte ja mit den Bündischen gemeinsame Sache, als sich die Bauern gegen die Obrigkeit erhoben. Um sich an den Winzern zu rächen, hat er alle Weinberge in und um Würzburg abgefackelt. Die meisten Weinberge gehörten zwar ihm selbst, aber in seinem Wahnscheint er das vergessen zu haben. Jedenfalls werden seine Winzer weder in diesem noch in den kommenden Jahren Wein ernten, und es ist absehbar, wann die bischöflichen Vorräte zur Neige gehen. Allein die Vorstellung bereitet dem alten Suffkopf große Pein, und er kauft Wein auf Vorrat, wo immer er ihn bekommen kann. Der Weinkutscher

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