Die Frau des Seiltaenzers
des Reichsgrafen Fugger hatte sie seit Tagen nichts mehr gehört. Vermutlich war es doch nur ein Strohfeuer, das ihn veranlasst hatte, ihr Versprechunen zu machen.
So fasste sie von einem Augenblick auf den anderen den Entschluss, noch vor Tagesanbruch zusammen mit Wendelin Schweinehirt zu fliehen.
»Aber das Tor ist um diese Zeit noch geschlossen«, wandte Magdalena ein. »Im Übrigen bin ich sicher, dass die Dominikaner den Wächtern Befehl gegeben haben, mich unter keinen Umständen passieren zu lassen.«
Wendelin grinste hinterhältig: »Jedes Kloster hat eine so genannte Sünderpforte. Aber wem sage ich das?«
»Eine Sünderpforte?«
»Wie, Ihr kennt den Begriff Sünderpforte nicht?«
»Nein, das höre ich zum ersten Mal!«
»Mag sein, dass diese Einrichtung nur in Mönchsklöstern gebräuchlich ist. Dabei handelt es sich um einen winzigen Durchlass in der Klostermauer, gerade mal schulterbreit und so niedrig, dass sich ein Mönch tief gebeugt und in demütiger Haltung hindurchzwängen muss, wenn er nächtens außerhalb des Klosters gesündigt hat.«
»Und eine solche Sünderpforte gibt es auch in Eberbach?«
Mit einem Augenzwinkern antwortete Wendelin: »Bis gestern Nacht erfreute sie sich jedenfalls regen Zuspruchs. Allerdings«, fügte er hinzu, »mit Eurem Gepäck müsst Ihr Euch bescheiden, soll es durch den Mauerdurchlass passen.«
»Keine Sorge«, erwiderte Magdalena, »mein Bündel mit ein paar Habseligkeiten wird kaum größer sein als Euer Ränzel.«
»Also dann«, Schweinehirt machte eine linkische Verbeugung, »ich werde noch vor Tagesanbruch an Eure Türe klopfen, dreimal kurz, dreimal lang. Erwidert mein Klopfen, wenn Ihr wach seid.«
»So sei es denn«, rief ihm Magdalena leise hinterher, als Wendelin verschwand.
An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. Vielmehr versuchte Magdalena ihre Gedanken zu ordnen. Was Schweinehirt betraf, schwankten ihre Gefühle zwischen Dankbarkeit und dem Argwohn, er könnte aus nicht ganz uneigennützigen Motiven handeln. Dennoch schien ihr die gemeinsame Flucht die einzige Möglichkeit, der Inquisition und dem Legaten zu entkommen.
Als der Bibliothekar frühmorgens an ihre Türe klopfte, war Magdalena bereits angekleidet, und das Bündel mit ihren Habseligkeiten lag neben Wendelins Ränzel bereit. Um gemeinsam so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen, beschrieb ihr Schweinehirt den Weg am Inspektorenhaus vorbei zur Gärtnerei bis zu jener Stelle, wo der Kisselbach unter der Klostermauer hindurch das eingefriedete Areal verließ. Dort sollte sie auf ihn warten.
Im Schutz der Dunkelheit gelangte Magdalena unbemerkt zu der verabredeten Stelle, und wenig später traf Wendelin ein. Dort, wo der Bach unter der Mauer verschwand, befand sich die beschriebene Sünderpforte, verschlossen mit einem Holzgatter und nur zu erreichen, wenn man ein paar Schritte durchs Wasser watete.
Wendelin ging voraus, öffnete das Gatter, das nur angelehnt war, und schwang sich auf die Brüstung der Maueröffnung. Dann rief er Magdalena leise zu, sie solle ihm folgen. Mit der Linken ihre Röcke raffend, in der Rechten ihr Bündel, watete sie durch das Wasser und schwang sich, so wie Schweinehirt es vorgemacht hatte, auf die Mauer. Sie waren in Freiheit.
Hinter dem Hofgut, einen Steinwurf entfernt, wartete bereits der Weinkutscher Richwin auf seinem Wagen. Mit schwerer Zunge, die entweder vom vergangenen Tag stammte oder daher rührte, dass er sich schon in aller Herrgottsfrühe an seiner Ladung schadlos gehalten hatte, erkundigte er sich, indem er mit dem Finger auf Magdalena zeigte: »Und wer ist die da?«
»Das ist Magdalena, von der ich dir schon erzählt habe«, erwiderte Wendelin. »Du hast doch noch einen Platz auf einem deiner Weinfässer frei?«
Richwin brummelte irgendetwas von Weiberpack, dann streckte er die offene linke Hand aus. Magdalena verstand und legte einen Gulden in seine schwielige Pranke, worauf sich sein finsteres Gesicht deutlich erhellte, soweit man es im Schein der Wagenlaterne erkennen konnte.
»Würzburg?«, fragte er, nicht aus Unkenntnis des Reiseziels, sondern weil er etwas Freundliches sagen wollte.
»Mir wäre es recht!«, antwortete Magdalena und blickte in sein zerfurchtes Antlitz, in dem das rechte Augenlid herabhing wie ein nasser Lappen.
Mit unerwarteter Zuvorkommenheit half er Magdalena auf den Wagen, wo sie unmittelbar hinter dem Kutschbock auf dem ersten Fass Platz nahm. Schweinehirt verstaute das Gepäck und setztesich neben
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