Die Frau des Seiltaenzers
Richwin. Der schlug mit der Peitsche auf die Gäule ein, und der Wagen nahm in südlicher Richtung Fahrt auf.
Die ersten Meilen wurde nicht gesprochen, wohl vor allem deshalb, weil Magdalena und Wendelin die Angst im Nacken saß, der Weinkutscher könnte bei diesem Tempo sein schweres Gefährt umwerfen oder in den nächsten Graben lenken.
In der Rheinebene angelangt, wo der Weg eben und schnurgerade dahinführte, zügelte Richwin seine Pferde zu einem langsameren Trab. Von Osten her dämmerte der Morgen, und der rötlichgelbe Horizont versprach einen schönen Sommertag.
Der Wagen ächzte und knarrte unter seiner schweren Last, und in das Gluckern der Weinfässer, die nicht bis zum Rand gefüllt waren, versuchte Magdalena sich vorzustellen, wie es weitergehen solle, wenn sie in ein paar Tagen Würzburg erreichten. In Gedanken versunken, wurde sie immer schwermütiger. Dunkle Vorahnungen quälten sie, sie könnte als Hübschlerin in einem Badehaus enden und müsste widerwärtigen Männern für kleine Münze zur Hand gehen.
Aus diesem peinigenden Dämmerzustand riss sie Wendelins Frage, lautstark gegen den Fahrtwind gerufen: »Jungfer Magdalena, denkt Ihr auch daran, wie es wäre, wenn wir uns gemeinsam auf die Suche nach den weisen Büchern machten?«
Magdalena erschrak zu Tode, sie puffte Schweinehirt in die Seite und verdrehte die Augen in Richtung Richwin. Der tat so, als sei er an der Unterhaltung nicht im Geringsten interessiert, schnalzte mit der Zunge, worauf die Gäule ihren Trab beschleunigten, und gab in unregelmäßigen Abständen einen Lacher von sich, als hätte ihm jemand eine schlüpfrige Geschichte ins Ohr geflüstert.
»Der ist voll bis in die Haarspitzen«, klärte Schweinehirt Magdalena auf. »Bis wir in Würzburg angekommen sind, hat er die halbe Ladung ausgesoffen. Aber was haltet Ihr von meinem Vorschlag?«
»Ich glaube, das solltet Ihr so schnell wie möglich vergessen! An den ›Büchern der Weisheit‹ sind einfach zu viele ausunterschiedlichen Gründen interessiert. Und wir hätten mit einem Schlag Schwarzkünstler und Nigromanten, Gaukler und Seine kurfürstliche Gnaden, sogar den päpstlichen Legaten und Seine Heiligkeit zum Gegner. Was können wir gegen diese Leute schon ausrichten?«
»Jungfer Magdalena, Ihr habt einen gewaltigen Vorsprung gegenüber all Euren Widersachern. Ihr wisst mehr als sie. Sonst würden sie nicht so hinter Euch her sein.«
Um Frankfurt machte der Weinkutscher einen weiten Bogen und ließ die Stadt rechter Hand liegen. Lange Zeit saßen Magdalena und Wendelin schweigend auf dem Wagen. Jeder hing seinen Gedanken nach, und der betrunkene Fuhrknecht schien so mit sich selbst beschäftigt, dass er seinen Mitreisenden nicht die geringste Beachtung schenkte.
In einem namenlosen Dorf an dem Flüsschen Kinzig, das weiter südlich in den Main mündet, machte der Weinkutscher gegen Abend halt, spannte die Pferde aus und füllte einen Tonkrug mit Wein aus dem hinteren Fass seiner Ladung. Mit einem zweiten Krug schöpfte er Wasser aus dem Fluss, um die entnommene Menge Wein zu ergänzen. Magdalena und Wendelin verfolgten die wundersame Weinvermehrung mit Schmunzeln.
Als der Kutscher, nachdem er seinen Krug in einem Zug geleert hatte, sich mit dem Ärmel über den Mund fuhr, bemerkte er Magdalenas staunenden Blick und lachte laut schallend und unverschämt, als machte er sich über sich selber lustig. Ohne sich näher zu erklären, verschwand Richwin flussabwärts zwischen den Weidensträuchern, die das Flüsschen säumten.
»Ich bin schon höflicheren Fuhrknechten begegnet«, bemerkte Magdalena und ließ sich im Gras nieder, »aber«, beeilte sie sich hinzuzufügen, »ich bin froh, Eberbach hinter mir gelassen zu haben.«
»Wie kam es eigentlich zur Anklage durch die Inquisition?«, begann Schweinehirt von Neuem. »Ich meine, so mir nichts dir nichtswird ein Weib doch nicht der Hexerei beschuldigt. Oder wollt Ihr nicht darüber reden?«
Magdalena hielt den Blick geradeaus in die untergehende Sonne gerichtet. Sie schwieg. Plötzlich sprang sie auf und lief zum Flussufer. Mit hohler Hand schöpfte sie Wasser und führte es zum Mund.
Der Bibliothekar verfolgte jede ihrer Bewegungen. Schließlich ging er ihr nach und tauchte den Kopf in das klare Gewässer.
»Ich habe Euch längst nicht alles gesagt«, hörte er Magdalena reden, als er prustend den Kopf aus dem Wasser hob. »Hinter dem Anschlag auf Rudolfos Leben steckte eine Frau aus unserer Gauklertruppe, Xeranthe
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