Die Frau des Seiltaenzers
Schweinehirt zu: »Ihr werdet also annehmen? Die Bücher der Abtei dürsten nach einem sehenden Pfleger, der sich ihrer annimmt!«
Als Magdalena bemerkte, wie Schweinehirt den Kopf schüttelte, gab sie ihm ein Handzeichen, dass er zustimmen solle. Mit dem Zeigefinger deutete sie zum Fenster, was ihm sagen sollte: Später mehr!
Dem Mönch entging das scheinbar lautlose Zeichen keineswegs. Lächelnd meinte er: »In der Tat, über Einzelheiten könnt Ihr Euch draußen unterhalten.«
Magdalena und Wendelin einigten sich darauf, der Bibliothekar solle erst einmal in Erfahrung bringen, welche Handschriften und Bücher in der Abtei aufbewahrt würden. Magdalena selbst würde im Gasthaus »Zum Schwanen« wohnen bleiben, während Schweinehirt seiner Bibliothekarsarbeit nachging. Wenn es in diesem Verwirrspiel um die ›Bücher der Weisheit‹ einen Ort gab, an dem sie vielleicht neue Hinweise finden konnten, dann war es die Bibliothek des Bruders Lucius. Immerhin hatte hier Trithemius als Abt gewirkt, der Okkultist geistlichen Standes, der Einzige, der sich als Mitglied der Neun Unsichtbaren zu erkennen gegeben hatte, jener Trithemius, der auf dem Sterbebett den Seiltänzer Rudolfo zu seinem Nachfolger bestimmte.
Um ihr Vorhaben nicht zu gefährden, vermied es Magdalena in den folgenden Tagen, das Kloster zu betreten. Es war nicht einfach für Wendelin, sich einen Überblick über die Bestände der Bibliothek zu verschaffen. Zum Glück ging ihm der blinde Bruder Lucius bereitwillig zur Hand, ein ausgewiesener Büchernarr, von dem Schweinehirt noch lernen konnte.
Um seine Aufgabe als Pförtner von St.Jakobus nicht zu vernachlässigen, hatte Bruder Lucius vom Glockenzug des Eingangs zu einem offenen Fenster der nahe gelegenen Bibliothek eine Hanfschnur gespannt, welche das Fenster zuschlug, sobald ein Fremder die Eingangsglocke betätigte. Dann humpelte der Alte, so schnell es seine gichtigen Beine erlaubten, die schmale Steintreppe nach unten, überquerte den kleinen Kreuzgang in der Diagonale und fragte den Ankömmling nach seinem Anliegen.
Nach drei Tagen, in denen Schweinehirt sich den Anschein gab, die Bücher und Handschriften nach Sachgebieten zu sortieren, erkundigte er sich eher beiläufig bei Bruder Lucius, ob denn wohl die Schriften des Johannes Trithemius in der Bibliothek einen besonderen Platz einnähmen?
Da zog der Bruder die buschigen Brauen über seinen toten Augen hoch, als wolle er zum Ausdruck bringen, dass er die Frage ungehörig finde, und hüllte sich in Schweigen. Der Zufall wollte es, dass im selben Augenblick das Fenster, das mit der Eingangsglocke in Verbindung stand, mit lautem Knall zuflog. Und Lucius verschwand.
Wendelin Schweinehirt hatte in einer Kammer Unterkunft gefunden, die wie die Bibliothek im oberen Stockwerk über dem Kreuzgang lag. Ein Laienbruder brachte ihm karges Essen und sorgte während seiner Abwesenheit für Sauberkeit. Einziger Trost in dieser traurigen Düsternis waren zwei winzige Fenster, die einen Blick über die Klostermauer erlaubten.
Abends, nach getaner Arbeit, wenn Wendelin sich in seine Kammer zurückzog, trat er regelmäßig ans Fenster und blickte nach draußen. Mit Magdalena hatte er vereinbart, sich jeweils zur vollen Stunde dort blicken zu lassen, während sich die Mönche zum Stundengebet in die Klosterkirche begaben. Dann war die Klosterpforte für eine halbe Stunde verwaist.
Als Schweinehirt an diesem Abend um die siebente Stunde aus dem Fenster blickte, winkte ihm Magdalena zu. Nicht einmal das mit einer fetten Speckscheibe belegte Abendbrot und der Humpen Dünnbier vermochten Wendelin zurückzuhalten. Er stürmte nach unten, ließ die Eingangstüre einen Spalt offen stehen und fiel Magdalena in die Arme.
Magdalena musste wohl die Verzweiflung bemerkt haben, die Schweinehirt ins Gesicht geschrieben stand, denn sie fragte: »Du warst wohl nicht erfolgreich?«
»Jedenfalls habe ich mir das alles einfacher vorgestellt«, antwortete Wendelin. »Von Trithemius keine Spur!«
Magdalena strich Wendelin liebevoll über das Haar: »Du musst Geduld haben. Oder dachtest du, Trithemius habe ein Papier mit einer Skizze an die Wand geheftet: Hier findet ihr die ›Bücher der Weisheit‹?«
»Das nicht gerade«, antwortete Schweinehirt, »aber als ich den blinden Bibliothekar nach Büchern des Trithemius fragte, schließlich hat er mehr als ein Dutzend verfasst, da stieß ich auf eisiges Schweigen, als wäre Lucius nicht blind, sondern taub, als hätte er meine
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