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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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ihre Klöster, weil ihnen bewusst wird, dass das Versprechen ewiger Glückseligkeit eben nur ein Versprechen ist, eine billige Verheißung ohne jedes Unterpfand. Wenn du mich fragst, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Gott den Menschen und seine Natur geschaffen hat, um sie dann beide strikt voneinander zu trennen, ja, dem Menschen sogar zu verbieten, dass er sich so verhält,wie es seiner Natur entspricht. Verdammt noch mal, warum hat Gott die menschlichen Triebe geschaffen, wenn es verboten ist, ihnen zu folgen? Warum hat er uns Gauklern mit der Fähigkeit ausgestattet, die Leute zum Staunen zu bringen, zum Lachen oder zur Neugierde, wenn du all diese Bedürfnisse nicht befriedigen darfst?«
    Solche Worte hätte Magdalena von dem Italiener nie erwartet. Deshalb fiel ihr auch die Antwort leicht, als sie sagte: »Ja, ich bin weggelaufen aus dem Kloster Seligenpforten. Aber ich habe kein Gelübde gebrochen. Ich verschwand wenige Tage vor meiner Profess. Allerdings hatte ich noch andere Gründe als die, welche du genannt hast.«
    »Schon gut«, bemerkte Benjamino, »du brauchst dich doch nicht zu rechtfertigen!« Dann verfiel er in ein längeres Schweigen.
    Auf dem mühevollen Weg, der durch Laubwälder bergauf und bergab führte und bisweilen so schlecht war, dass sie aussteigen und die Wagen und Karren anschieben mussten, begegneten sie immer wieder furchterregenden Bauernhorden. Die heruntergekommenen Gestalten, meist Häuflein von fünf bis zwanzig Mann, sahen erbärmlich aus: zerlumpte Kleider, blutende Wunden und manche mit verstümmelten Armen und abgeschlagenen Beinen, die sie durch einen Holzstumpf ersetzt hatten. Ihr Kampf gegen die Obrigkeit richtete sich nicht nur gegen den Adel, vor allem kämpften sie gegen den Klerus und die weltliche Kirchenherrschaft. Mit roher Gewalt forderten sie die Aufhebung der Leibeigenschaft und des Zehnten. Doch ihr Aufbegehren war von vornherein zum Scheitern verurteilt.
    Auf halbem Weg wurden die Gaukler inmitten eines Buchenwaldes von einer solchen Horde überfallen. Magdalena klammerte sich fest an Melchior, der, wie es den Anschein hatte, nicht die geringste Furcht zeigte. Mit leiser Stimme raunte er Magdalena zu: »Keine Angst! Sie werden uns nichts tun, sie wissen, dass wir auf ihrer Seite sind.«
    Und tatsächlich – nachdem einige Männer in das Zaumzeug der Pferde gegriffen und die Gauklerwagen zum Stehen gebrachthatten, pfiff der Anführer zweimal durch die Finger, und die anderen ließen ihre Waffen, Lanzen und Sensen, Sicheln und Äxte sinken.
    Als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, sprang Melchior vom Wagen und trat dem Anführer entgegen: »Sage deinen Leuten, dass wir Gaukler sind. Und Gaukler sind immer auf eurer Seite!«
    »Ich weiß«, brummelte der Anführer, »ihr seid die Truppe des Großen Rudolfo. Verzeiht die Unbeherrschtheit meiner Leute. Aber in unsicheren Zeiten wie diesen ist jeder, der uns begegnet, zuerst mal ein Feind. Ihr seid doch Rudolfo?«
    Als er seinen Namen hörte, steckte Rudolfo seinen Kopf aus dem Planwagen: » Ich bin der Große Rudolfo!« Und mit einem großen Satz sprang er aus seinem bunten Gefährt und blickte triumphierend in die Runde.
    »Rudolfo, der Große Rudolfo!«, tönte es aus den rauen Kehlen der bewaffneten Bauern.
    Für einen Augenblick genoss Rudolfo den unerwarteten Applaus. Dann meinte er mit ernster Stimme: »Sie haben euch übel mitgespielt!« Er trat auf einen jungen Kerl zu, der über und über mit Blut besudelt war. Sein rechter Arm – oder besser das, was im Kampf von seinem rechten Arm übrig geblieben war – steckte in zwei zu einer Röhre zusammengelegten und mit einem Strick verbundenen halbrunden Dachziegeln, aus denen das Blut tropfte.
    »Er ist noch keine sechzehn«, bemerkte der Anführer, als er Rudolfos Blick auffing. »Aber was das Schlimmste ist: Alles war umsonst!«
    Da brüllte Rudolfo, dass es im Wald hallte: »Wo ist dieser gottverdammte Quacksalber!«
    Der trat geduckt, was seinen Buckel noch krummer erscheinen ließ, hinter dem Planwagen hervor und besah sich den Armstumpf des Jungen. Er konnte nur schwer verbergen, wie widerwillig er seiner Aufgabe nachkam.
    »Ich bin doch kein Wundarzt!«, bemerkte er, ohne aufzublicken.
    »Aber der Junge wird in diesem Zustand nicht überleben!«
    »Das ist wohl wahr.«
    »Ja und?« Rudolfo wurde wütend, wütend wie ihn die Gaukler kaum jemals gesehen hatten: »Was bist du doch für eine jämmerliche Kreatur. Predigst Abend für

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