Die Frau des Seiltaenzers
bezichtigt. Das ist es doch, warum Ihr hier seid?«
»Du hast es erraten, Fremder! Aber wenn du mir erklären kannst, woher das Gold stammt, dann habt ihr beide nichts zu befürchten.«
Magdalena und Melchior sahen sich verstohlen an. Sie waren drauf und dran, sich in ein Netz aus Lügen zu verstricken, aus dem sie möglicherweise nicht mehr herausfänden. Deshalb zogen sie es vor zu schweigen.
Das aber machte den Amtmann zornig: »Nun gut, wenn ihr nicht reden wollt, dann sperre ich euch in den Turm. So lange, bis euch einfällt, woher ihr das Gold habt. Zieh dein Kleid an«, wandte er sich an Magdalena, »und packt eure Sachen!«
»Sie haben nichts zu packen!«, wandte der Wirt ein. »Sie kamen nur mit dem, was sie am Leibe trugen!«
Während Magdalena in ihre Kleider schlüpfte, ließen sie der Amtmann und seine Schergen keinen Moment aus den Augen. Kopfschüttelnd meinte der: »Gold in den Taschen, aber kein Bündel Gepäck. Ich glaube, da haben wir einen guten Fang gemacht. Also los!«
Flankiert von den Schergen, die Magdalena und Melchior am Oberarm festhielten, überquerten sie den großen Platz in Richtung der Stadtmauer. Dort lag das Gefängnis, ein klotziger, zweistöckiger Bau mit vergitterten Fenstern.
Mit Fußtritten und Puffen schubsten die beiden Schergen die Delinquenten die schmale Treppe hoch ins obere Stockwerk und öffneten eine Zellentür. Sie wurden von Lärm und lautem Gejohle empfangen.
In der kleinen düsteren Zelle, die mit Stroh ausgelegt war und keinerlei Mobiliar enthielt, lungerten schon fünf oder sechs Gefangene beiderlei Geschlechts herum. Durch das winzige Fenster knapp unter der Decke fiel kaum Licht. Es stank abscheulich, was daher rührte, dass in der Ecke ein marodes Fass stand, das zur Verrichtung der Notdurft diente.
Mit einem lauten Schlag fiel die Zellentür ins Schloss. Dann verebbte der Lärm, und die Zelleninsassen, vier Männer und zwei Frauen, starrten die Neuankömmlinge misstrauisch an. Ein aufgedunsener Mann mit langem, strähnigem Haar und eingefallenem Mund, dem die Vorderzähne fehlten, trat mit hinterhältigem Grinsen an Magdalena heran. Mit einer ekelhaften Grimasse prüfte er zwischen Daumen und Zeigefinger den Stoff ihres Kleides. Schließlich meinte er an die anderen gewandt: »Wen haben wir denn da?Ich glaube, man hat uns bessere Leute ins Nest gelegt!« Und dabei machte er eine provozierende Verbeugung.
Noch ehe er sich versah, war Melchior vor den Zahnlosen hingetreten, hatte beide Hände um dessen Hals gelegt und drückte ihn so gegen die Wand, dass der Kerl mit hochrotem Kopf nach Luft rang und jeden Augenblick zu ersticken drohte. Kurz davor ließ Melchior von ihm ab, und der Mann glitt lautlos an der Wand zu Boden.
Nicht zum ersten Mal, aber mit ehrlichem Zweifel, quälte Magdalena der Gedanke, ob es nicht besser gewesen wäre, im Kloster Seligenpforten zu bleiben, ja, ob sie nicht reumütig dorthin zurückkehren sollte. Sie hatte auf dem Stroh einen Platz gefunden und verfolgte angewidert die schwarzen Krabbeltiere, die auf dem rauen Steinboden ein Versteck suchten.
»Ich ahne, was du jetzt denkst«, bemerkte Melchior leise und ließ sich neben Magdalena nieder.
Magdalena nickte stumm.
Melchiors brutale Reaktion hatte den übrigen Zelleninsassen einen gehörigen Schrecken eingejagt. Sie vermieden, dass sich ihre Blicke kreuzten, und unterhielten sich nur noch im Flüsterton.
Gegen Abend – in der Zelle herrschte bereits stockdunkle Nacht, und Magdalena und Melchior saßen Rücken an Rücken auf einer Strohgarbe – näherten sich Schritte. In der Türe erschien der Amtmann mit einer Laterne, begleitet von einem Unbekannten.
Magdalena beschlich ein ungutes Gefühl, und auch Melchior hatte eine unheilvolle Ahnung. Vor allem, als ihm der Amtmann die Laterne vors Gesicht hielt und sich an seinen Begleiter wandte: »Meint Ihr wohl diesen da?«
Vom Licht geblendet, konnte Melchior den zweiten Mann nicht erkennen. Er hörte nur, wie er sagte: »Ja, das ist er!«
»Und das Weib an seiner Seite?«, fragte der Amtmann zurück.
Hilfesuchend klammerte sich Magdalena an Melchior.
»Sie teilten sich in der Herberge ein Lager«, ergänzte der Amtmann.
Der Unbekannte knurrte irgendetwas Unverständliches. Nach kurzem Überlegen meinte er: »Dann gib mir eben beide frei. Ich bürge für beide. Genügt dir mein Wort?«
Melchior blickte auf: Der Unbekannte war der Große Rudolfo. Noch bevor Melchior reagieren konnte, hob Rudolfo beide Hände, als
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