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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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das Angebot nachdenken. Zehn Gulden, das war der Preis für ein Pferd von bester Rasse! Im Übrigen gab es mainabwärts bis Mainz ohnehin kaum Gelegenheit für ein Auftreten der Gaukler.
    »Ich will dich natürlich nicht bedrängen«, legte der Truchsess nach. Und noch ehe Rudolfo beteuern konnte, er sei mit der gebotenen Summe einverstanden, meinte der Feldhauptmann: »Sagen wir fünfzig Gulden für drei Tage. Schlagt ein!«
    Als er sah, dass der Domherr die Augen verdrehte wie ein entrückter Säulenheiliger, ergriff Rudolfo blitzschnell von Waldburgs Hand und schüttelte sie. »Abgemacht, hoher Herr. Wir werden Euch nicht enttäuschen!«
    »Das hoffe ich, Gaukler!«, rief der, während er seinen Gaul bestieg und dem schnellen Pferd die Sporen gab. »Morgen, gegen zehn stehen die Stadttore für euch offen!« Und unter anfeuernden Rufen verschwanden die Reiter zwischen den Bäumen.
    »Ein geschickter Verhandlungsführer, dieser Rudolfo«, raunte Melchior Magdalena zu, die immer noch seinen Arm umklammerte.
    Magdalena nickte. »Ich hatte große Angst.«
    Inzwischen senkte sich der Abend über die Lichtung, und der Große Rudolfo gab Order, an Ort und Stelle ein Nachtlager zu errichten. Im Nu wurden Karren und Planwagen zu einem Karree zusammengestellt, das Pferden und Ochsen Schutz bot. Zwischen den Bäumen spannten die Fuhrknechte ein Zeltdach und legten den Boden mit Stroh aus, das sie in einem eigenen Wagen mit sich führten. Das alles ging Hand in Hand und mit solcher Schnelligkeit vonstatten, dass Magdalena aus dem Staunen nicht herauskam. Sie wollte nicht tatenlos zusehen und fragte den Nächstbesten, wie sie sich nützlich machen könne. Es war der Riese von Ravenna, der angeblich aus der Dachrinne trank.
    »Ach Gott, Kind!«, lachte er breit. Magdalena störte es, dass er sie Kind nannte. Gewiss, wenn man ihre und seine Körpergröße zum Vergleich heranzog, erschien sie gegen den Riesen wie ein Kind. Aber seine Anrede erschien ihr doch fehl am Platz. Und deshalb äffte sie ihn nach: »Ach Gott, Riese!«
    Der verstand sofort, was Magdalena zum Ausdruck bringen wollte. »War nicht böse gemeint«, meinte er, »aber ich kenne nicht einmal deinen Namen.«
    »Magdalena«, sagte Magdalena.
    »Leonhard Khuenrath«, antwortete der Riese.
    »Und du kommst aus Ravenna?«
    »Unsinn. Meine Wiege steht in Straßburg.«
    »Muss aber eine große Wiege gewesen sein.«
    »Keineswegs. Bis zu meinem siebten Lebensjahr war ich nicht größer als andere Jungen meines Alters. Aber nach einem Sturz vom Esel begann ich plötzlich zu wachsen wie eine Weide am Bach. Meine Mutter schalt mich, ich fräße die Familie arm – wir waren sieben Kinder. Mein Vater, ein Müller, schlug mich, weil ich ihm Mehl stahl und gegen Brot eintauschte. Da sagte ich mir, schlechter kann es woanders nicht sein, und lief davon, geradewegs in die Arme des Großen Rudolfo. Er meinte, so einen wie mich habe er seit Langem gesucht. Er war es auch, der mich den Riesen von Ravenna nannte. Exotisch, meinte er, jedenfalls exotischer als Leonhard Khuenrath. Seither bin ich Riese von Beruf, muss mich nicht schlagen lassen und brauche nicht Hunger zu leiden, bisher jedenfalls nicht.« Und mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: »Du stehst auf große, kräftige Männer, stimmt’s?«
    »Du meinst wegen Melchior?« Magdalena lachte. »Uns hat der Zufall zusammengeführt. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
    Inzwischen hatte sich Melchior am Proviantwagen mit Brot und gestampftem Fasskraut eingedeckt.
    »Nicht gerade üppig, aber durchaus schmackhaft«, bemerkte er und gab Magdalena die Hälfte ab. Dazu gab es Wasser aus einem riesigen Fass, das die halbe Ladefläche eines vierrädrigen Leiterwagens einnahm. Ein zweites Fass auf demselben Wagen war angeblich mit Wein gefüllt. Das behauptete jedenfalls der Riese von Ravenna. Aber, ließ er wissen, Wein gebe es nur zu besonderen Anlässen, meist, wenn der Große Rudolfo wieder einmal auf dem Seil eine bravouröse Leistung vollbracht habe.
    Es waren die Tage um den Beginn des ersten Sommermonats, und obwohl sich die Sonne seit Tagen rar machte, war die Nacht wie alle vorangegangenen lau, was auch daran liegen mochte, dass sich das Klima entlang des Mainflusses milder zeigte als anderswo in deutschen Landen.
    Wie die anderen Gaukler häuften Magdalena und Melchior das herumliegende Stroh auf und bereiteten sich so ihr Lager für die Nacht. Und wie die anderen Gaukler wollte Magdalena sich gerade in voller Kleidung zur

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