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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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wollte er sagen: Es ist besser, wenn du schweigst!
    Da schwieg Melchior, und Magdalena sah ihn fragend an.

3. KAPITEL
    W ie bei allen wundersamen Ereignissen gab es auch für die unerwartete Befreiung aus dem Kerker von Ochsenfurt eine einfache Erklärung. Vor wenigen Wochen hatte die Gauklertruppe auf dem Weg zum Bodensee ihren Wagenmeister verloren, Wigobert mit Namen und verantwortlich für den Transport der Aufbauten und Gerätschaften, vor allem aber für das Spannen des Seils, auf welchem der Große Rudolfo balancierte. Auf abschüssigem Weg vor Meersburg war Wigobert beim Anlegen des Bremsschuhs von seinem eigenen Leiterwagen überrollt worden. Er starb noch am selben Tag.
    Als Melchior am Abend zuvor dem Großen Rudolfo beim Spannen des Seils zu Hilfe gekommen war, hatte dieser Kraft und Statur des Fremden bewundert, welche der von Wigobert in nichts nachstand. Seine äußere Erscheinung ließ darauf schließen, dass Melchior nicht gerade vom Glück gesegnet und deshalb nicht abgeneigt war, mit der Gauklertruppe durch die Lande zu ziehen. Allerdings konnte Rudolfo nicht ahnen, dass Melchior in Begleitung einer Frau und unter keinen Umständen bereit sein würde, ihm ohne Magdalena zu folgen.
    Nun standen die beiden dem Großen Rudolfo vor einem heruntergekommenen Gauklerwagen gegenüber. Zwar kam das Angebot Melchior durchaus gelegen, aber Magdalena allein ihrem Schicksal zu überlassen, kam für ihn nicht infrage. Melchior trat einen Schritt zurück und machte vor dem Großen Rudolfo die Andeutung einerVerbeugung. Magdalena tat es ihm gleich. Eigentlich wollte er sich bedanken, dass er sie aus dem Gefängnis geholt hatte; aber noch bevor es dazu kam, packte Rudolfo beide am Ärmel, und alle drei steckten die Köpfe zusammen.
    »Du solltest dir die Sache noch einmal überlegen!«, meinte Rudolfo mit schmalen Lippen. Seine Stimme hatte auf einmal etwas Bedrohliches, und sein Blick schien bis in sein tiefstes Innerstes zu dringen. Mit einem etwas verbindlicheren Ton fügte er hinzu: »Ich kann ja verstehen, dass du von dem Weib nicht lassen kannst. Sicher werden wir auch für sie noch eine Aufgabe finden.«
    Magdalena war nicht verborgen geblieben, dass der Große Rudolfo sie im Verlauf der Unterredung keines Blickes gewürdigt hatte. Auch jetzt nicht, da sich das Gespräch um sie drehte. Die Jahre im Kloster Seligenpforten hatten sie allerdings gelehrt, dass sich hinter scheinbarer Nichtbeachtung oftmals weniger Stolz und Überheblichkeit als vielmehr Verlegenheit und eine gewisse Menschenscheu verbargen.
    »Was denkst du?«, hörte sie, in Gedanken versunken, Melchior fragen.
    Magdalena hob die Schultern und schob die Unterlippe nach vorne, als ringe sie noch um eine Entscheidung. In Wahrheit hatte sie längst einen Entschluss gefasst. Die Aussicht, mit Gauklern durch die Lande zu ziehen, heute hier, morgen dort, erschien ihr, nach Jahren des Eingesperrtseins hinter Klostermauern, wie eine Befreiung, ja, eine Erlösung. Hatte sie nicht manches Mal während des endlosen Singsangs beim Rosenkranz-Gebet davon geträumt, wenigstens einen kleinen Teil dieser Welt zu erleben?
    »Wir können es doch einmal versuchen!«, entgegnete sie, immer noch bemüht, ihre wahre Begeisterung zu unterdrücken.
    »Da hörst du’s«, bemerkte Rudolfo und warf Melchior einen vorwurfsvollen Blick zu. »Kommt mit mir, ich will euch die anderen Mitglieder der Truppe vorstellen, bevor wir nach Würzburg aufbrechen. Ach ja –« Rudolfo holte den Florentiner Goldgulden aus derTasche, den der Amtmann Magdalena abgenommen hatte, und gab ihn ihr – »mit Gold sollte man vorsichtiger umgehen. Gold öffnet alle Türen, auch die von Neid und Misstrauen. Eure Rechnung im ›Roten Ochsen‹ habe ich im Übrigen beglichen.«
    »Das hättest du nicht tun müssen!«, meinte Melchior entrüstet. »Du wusstest doch nicht einmal, ob wir uns einigen würden.«
    Der Große Rudolfo lachte, er lachte so laut, dass es von den kahlen Holzwänden des Gauklerkarrens widerhallte: »Das wusste ich sehr wohl. Merkt euch eines: Was der Große Rudolfo sich in den Kopf setzt, setzt er auch durch!«
    Auf der Marktstraße des Ortes wurde es allmählich lebendig. Die Gaukler waren mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt, und Rudolfo rief seine Leute zusammen. Einige von ihnen, wie den weiß gekalkten Quacksalber, den lautstarken Marktschreier Constantin Forchenborn, den gelenkigen Jongleur, den Riesen von Ravenna und die Königin des Zwergenvolks, hatten

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