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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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beteuerte, seinem Ansinnen nie und nimmer nachkommen zu wollen. Auch wenn er sie davonjagte.
    Melchior empfand die geplante Gaukelei keineswegs verwerflich und in keiner Weise demütigend – wie er Magdalena versicherte. Vielmehr gab er zu bedenken, ob der Große Rudolfo nicht mehr an ihr als an ihrer Gaukelei interessiert sei, ob der Seiltänzer seine, Melchiors, Dienste nicht nur als Vorwand benützt habe, um an Magdalena heranzukommen.
    Das aber bestritt Magdalena vehement. Rudolfo habe sich ihr gegenüber eher von oben herab und in keiner Weise anzüglich verhalten. Auch wenn es ihr in dieser Hinsicht an Erfahrung mangle, sohätte sie davon etwas merken müssen. Im Übrigen würde ihr kahl geschorener Schädel nicht gerade dazu beitragen, das Interesse eines Mannes zu wecken. Nein, sie halte Rudolfo für einen durchtriebenen und ziemlich rücksichtslosen Vaganten, der vor nichts zurückschrecke. Selbst Melchiors Einwand, er sei aber der größte Seiltänzer von Gottes Gnaden, tat Magdalena mit der Bemerkung ab, vermutlich verstecke sich auch dahinter nichts weiter als ein großer Schwindel.
    Über diesem Gespräch schliefen sie ein.

4. KAPITEL
    D er nächste Morgen zeigte sich von einer besseren Seite. Wärmende Sonnenstrahlen blinkten unruhig in der Lichtung und weckten die schlafenden Gaukler. Magdalena, aufgrund ihrer Vergangenheit an frühes Aufstehen gewöhnt, stülpte sich ihre Haube über und klopfte den Tau von ihrem Kleid, der sich in der Kühle der Nacht gebildet hatte.
    Auf dem Weg in den Wald, wo Magdalena einem dringenden Bedürfnis nachkommen wollte, trat plötzlich die Wahrsagerin Xeranthe aus dem Unterholz. Wie immer trug sie einen goldenen Stirnreif und stellte sich ihr, die Fäuste in die Hüften gestemmt, entgegen.
    »Elende Mezze«, geiferte sie, »für dich ist der Große Rudolfo eine Nummer zu groß. Also lass die Finger von ihm!«
    Der Anwurf traf sie so unerwartet, dass Magdalena kein Wort hervorbrachte. Nur langsam gelang es ihr, sich einen Reim darauf zu machen, was Xeranthe von ihr forderte.
    »Keine Angst«, erwiderte sie selbstbewusst, »ich nehme dir nichts weg, was dir gehört. Nur fürchte ich, der Große Rudolfo will nichts von dir – nicht einmal deinen kleinen Finger.« Magdalena wunderte sich über sich selbst, wie sie den Mut aufbrachte, der Wahrsagerin die Meinung zu sagen.
    Das aber brachte Xeranthe in Rage. Sie tat einen Schritt nach vorne, verschränkte die Arme über dem breiten Busen, der schon bessere Tage gesehen hatte, und nahm eine drohende Haltung ein. »Ich habe zwar ein paar Jahre mehr auf dem Buckel als du, aberdafür habe ich noch Haare auf dem Kopf!« Dabei versuchte sie, Magdalena die Haube vom Kopf zu reißen.
    Die wehrte den Versuch ab und schlug Xeranthe mit dem Handrücken ins Gesicht. So viel Furchtlosigkeit hatte die Wahrsagerin nicht erwartet. Jedenfalls zögerte sie, ob sie sich wehren und zurückschlagen oder ob sie es dabei belassen sollte. Aber als sie sah, wie Magdalena mit gespreizten Fingern näher kam, als sie ihre zusammengepressten Lippen erblickte, da zog sie es vor, zurückzutreten. Aus einiger Entfernung drehte sie sich noch einmal um und rief: »Das wird dir noch leidtun!«
    Bei ihrer Rückkehr fand Magdalena die Gauklertruppe im Aufbruch begriffen. Als sie Melchior von ihrer Begegnung mit der Wahrsagerin berichtete, zeigte der sich eher amüsiert und meinte, immerhin habe sie jetzt eine Feindin unter den Gauklern. Und, gab er zu bedenken, er befürchte, dass Xeranthe nicht die einzige bleiben werde.
    Während sie ihre Habseligkeiten im Gauklerwagen verstauten, kam die Zwergenkönigin und zupfte Magdalena am Rock: »Der Große Rudolfo«, sagte sie mit ihrer typischen Kinderstimme, »gab mir den Auftrag, dir dieses Gewand zu überreichen. Du wüsstest schon, worum es sich handelt.«
    Magdalena bückte sich und nahm das weiße Kleid in Empfang. Dann blickte sie Melchior fragend an.
    Melchior hob die Schultern: »Du musst wissen, was du tust. Vor allem aber musst du wissen, was du nicht tust!«
    »Ich finde Rudolfos Ansinnen entwürdigend«, erwiderte Magdalena.
    »Dann lass es! Aber wenn du mich fragst …«
    »Ich frage dich, Melchior.«
    »Für mich ist es weit mehr entwürdigend, wenn unsere Bischöfe und Ablassprediger den letzten Groschen von den Armen fordern, damit sie angeblich die Vergebung ihrer Sünden und die ewige Glückseligkeit erlangen.«
    Magdalena nickte nachdenklich. »Was mich betrifft«, fuhr Melchior fort, »werde

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