Die Frau des Seiltaenzers
ganzen Land zusammenschlossen und wie ein Mann gegen Bischöfe, Dompröpste und den Adel vorgingen, da wurde es brenzlig für die gnädigen Herren von Marienberg. Als mein Vater der Stadt als Bürgermeister vorstand, versuchte er vergeblich zwischen dem Bischof und der Bürgerschaft zu vermitteln. Damit schaffte er sich Feinde auf beiden Seiten.«
»Schweig!«, unterbrach Riemenschneider seinen Sohn. »Das macht die Lage nicht besser.«
»Natürlich nicht«, ereiferte sich Jörg, »aber alle sollen wissen, welches Verbrecherpack uns regiert.« Und eifernd fuhr er fort: »Nach verlorener Schlacht gegen die aufständischen Bürger und Bauern erstellten der gnädige Herr von Marienberg und sein feiner HerrTruchsess wahllos eine Liste mit den Namen der angeblichen Rädelsführer, einhundertfünfundneunzig Männer. Auch mein Vater stand auf der Liste. Er kann noch von Glück reden, dass er mit dem Leben davongekommen ist. Die meisten wurden geköpft. Der gnädige Herr Bischof sah zu, bis ihm übel wurde. Dann ließ er sich forttragen.«
Magdalena schluckte. »Jetzt verstehe ich auch, warum den Würzburgern nicht nach Gauklern zumute ist. Warum man uns keine Beachtung schenkt und uns behandelt, als wären wir Aussätzige.«
»So ist es nicht«, erwiderte der junge Riemenschneider, »die Zurückhaltung der Würzburger hat einen anderen Grund. Du kannst mir glauben, dass wir nach dem furchtbaren Geschehen der letzten Wochen und Tage eine Ablenkung bitter nötig hätten. Aber einigen unserer Männer ist zu Ohren gekommen, dass der Truchsess Georg von Waldburg im Auftrag des Bischofs Gaukler gekauft hat, um von den eigenen Gräueltaten abzulenken. Nehmt es nicht persönlich, wenn wir uns so ablehnend verhalten.«
Das also war der Grund für das ungewöhnliche Gebaren der Würzburger Bürger! Wer konnte es ihnen verdenken?
In der beinahe unheimlichen Stille, die über dem Marktplatz lag, erschallte eine Stimme: »Mag-da-le-na!«
Als erwachte sie aus einem bösen Traum, wandte sich Magdalena dem Brunnen zu, ergriff ihre beiden Krüge und drückte sie unter Wasser, damit sie vollliefen. Mit gequältem Gesicht zog Tilman Riemenschneider die Arme aus dem Wasser.
Magdalena sah, wie er litt, und sagte: »Wartet hier, ich schicke euch unseren Quacksalber. Er ist als Mensch ein stetes Ärgernis, aber seine Heilkunst ist berühmt. Gewiss kann er euch ein Mittel verabreichen, das wenigstens die Schmerzen lindert.«
Noch bevor der alte Riemenschneider das Hilfsangebot zurückweisen konnte, nickte der junge zustimmend und erwiderte: »Ich danke dir, Jungfer, dass du nicht Gleiches mit Gleichem vergelten willst. Wir wollen warten.«
Inzwischen hatten die Gaukler an der Ostseite des Marktplatzes ihr Lager aufgebaut. Als Magdalena berichtete, dass sie am Brunnen dem Bildschnitzer Tilman Riemenschneider begegnet sei und dieser dringender Hilfe bedürfe, fand sie wenig Zustimmung, wenngleich der Name des Künstlers einem jeden geläufig war. Der Marktschreier, welcher im häufigen Umgang mit Pfaffen und dem Adel diesen eine gewisse Verbundenheit entgegenbrachte, meinte gar, der Holzknecht – so pflegte er sich auszudrücken – solle schauen, wo er bleibe, schließlich habe ihn niemand gezwungen, sich dem Bauernaufstand anzuschließen.
Als aber Magdalena in allen Einzelheiten erzählte, wie übel dem alten Mann mitgespielt worden war, da trat Leonhard, der Riese von Ravenna, wortlos auf den Quacksalber zu und streckte den rechten Arm in Richtung des Brunnens aus. Die Zwergenkönigin nahm gar vor dem Quacksalber Aufstellung, warf den Kopf in den Nacken und rief: »Und vergiss deinen Zauberkoffer nicht!«
Wo die Schustergasse in die Domstraße einmündet, hatten Rudolfo und seine Fuhrknechte den schweren Wagen aufgestellt, der für den Transport des dicken Hanfseils diente. Melchior hatte dem Seiltänzer geholfen, das Gefährt mit armdicken Pflöcken aus Eisen zu verankern. Von hier aus spannten sie das Seil auf den linken Domturm, indem sie von den oberen Rundbogenfenstern ein dünnes Seil herabließen, an welchem das schwere Hochseil befestigt und hochgezogen wurde.
Ein Querbalken an der Innenseite der Fensteröffnungen diente zur Befestigung. Unter Rudolfos kritischen Blicken wickelten es die Fuhrknechte wie eine Schlange gut ein Dutzend Mal um den Balken. Das Ende verknotete der Meister selbst, indem er mit dem Seil fünf Schlingen hintereinanderlegte und das Ende hindurchschob. Dabei flüsterte er unverständliche Worte. Und
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