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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Weitem sah sie die beiden Männer, die sich über den Brunnenrand beugten, als wollten sie Wasser trinken. Doch im Näherkommen konnte sie beobachten, dass der eine, der jüngere, dem älteren Gesicht und Hände wusch.
    Magdalena stellte ihre Krüge auf den Stufen des Brunnens ab und grüßte freundlich. Aber die beiden Männer würdigten sie keines Blickes. Erst als sie noch näher hinzutrat und die üblen Verletzungen im Gesicht des älteren Mannes erblickte, meinte der jüngere, dem die Begegnung offensichtlich peinlich war: »Du bist wohl nicht von hier, oder?«
    »Nein«, erwiderte Magdalena, und als müsste sie sich entschuldigen, fügte sie schüchtern hinzu: »Ich gehöre zu den Gauklern, die der Truchsess von Waldburg in eure Stadt geholt hat.«
    Da spuckte der jüngere der beiden in weitem Bogen auf das Pflaster und rief: »Der Bauernjörg! Die größte Sau unter allen Schweinen auf Gottes weiter Erde. Erst metzelt er Städter und Bauern nieder, dann hetzt er uns die Gaukler auf den Hals, damit wir auch noch darüber lachen. Macht, dass ihr fortkommt, bevor wir die letzten Waffen, die uns noch geblieben sind, gegen euch richten.«
    »Lass gut sein, mein Sohn«, murmelte der alte Mann, ohne aufzublicken, »die Gaukler sind eher auf unserer Seite als aufseiten der Fürsten und Pfaffen.«
    Magdalena nickte, denn es erschien ihr in dieser Situation das Beste. Schließlich fragte sie: »Wer hat dich so zugerichtet?«
    Der Alte schüttelte den Kopf. Er wolle keine Antwort geben. Doch der Junge erwiderte: »Die Schergen unseres feinen Herrn Bischofs Konrad, des obersten Feldhauptmanns Seiner kaiserlichen Majestät.« Er hob den Kopf und blickte in Richtung der Festung Marienberg, wo der Bischof von Würzburg residierte. Und schließlich fügte er hinzu: »Dabei hat er mehr für den Bischof getan als alle Domherren, Pröpste und Äbte seines Bistums zusammen. Die Menschen kommen von weit her, um seine Kunst zu bewundern.«
    »Seine Kunst?«
    »Das ist mein Vater Tilman Riemenschneider. Und ich bin sein Sohn Jörg.«
    »Der berühmte Tilman Riemenschneider?«
    »Berühmt!« Der Alte lachte zynisch. »Was nützt dir aller Ruhm, wenn deinen Auftraggebern dein Gesicht nicht gefällt! Oder noch schlimmer: wenn du die falschen Worte zu den falschen Leuten sagst! Dann ist deine Berühmtheit keinen Kreuzer wert.«
    Während Tilman redete und der Zorn in seinen Augen funkelte, hob er bedächtig die Arme empor, an denen seine Hände wie nasse Lappen herunterhingen.
    Magdalena warf dem Jungen einen fragenden Blick zu.
    Der trat ganz nahe an sie heran, als sei ihm daran gelegen, dass der Vater seine Worte nicht hörte. Leise sagte er: »Die Bischöflichen haben ihn oben auf der Festung gefoltert, sie haben ihm die Hände gebrochen. Und wie du siehst, haben sie ganze Arbeit geleistet. Heute Morgen brachte ein Bote die Nachricht von oben, ich könne ihn abholen.«
    Magdalena schlug die rechte Hand vor den Mund und unterdrückte einen Schrei.
    »Zum Schmerz, den er erlitten hat«, fuhr Jörg Riemenschneider fort, »kommt das Bewusstsein hinzu, nie mehr seine Kunst ausüben zu können. Ich befürchte, das wird ihm das Herz brechen.«
    Langsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht ließ der Alte seine Arme sinken und wandte sich wieder dem Brunnen zu. Die Folterknechte schienen auch seine Beine und Füße malträtiert zu haben, denn er humpelte schwerfällig. Man sah, dass ihn jeder Schritt schmerzte. Unter Mühen beugte er sich über den achteckigen Brunnenrand und tauchte die Arme ins kühle Wasser.
    »Wie konnte das alles geschehen?«, erkundigte sich Magdalena vorsichtig, ohne den alten Riemenschneider aus den Augen zu lassen.
    »Das ist ein jahrhundertealter Kampf der Würzburger gegen die Obrigkeit, vor allem gegen den Bischof, oben auf der Veste Marienberg. Seit der unselige Friedrich Barbarossa den Würzburger Bischöfen die herzogliche Gewalt in Franken festschrieb, führen sie sich auf, als wären sie die Sultane von Konstantinopel – ebenso rücksichtslos und prassend. Die Pfaffen und ihre Diener leben wie die Fürsten, zahlen keine Steuern und genießen Immunität. Für sie gelten keine Gesetze. Wenn sie knapp bei Kasse sind, erheben sie neue Steuern auf Haus und Grund oder den Weinhandel. Dabei gehören dem Bischof ohnehin alle Weinberge im Umkreis der Stadt. In der Vergangenheit kam es alle paar Jahre zu Scharmützeln zwischen den Würzburgern und ihren Bischöfen. Aber als sich die Bauern und Bürger der Städte im

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