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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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erkundigte sich Magdalena.
    »Mein Vater ist Jörg, der Sohn des Großen Riemenschneider, dem die Bischöflichen die Hände zerschlagen haben. Großvater sagt, er werde nie mehr eine Madonna schnitzen können. Aber auch, wenn er es könnte, würde er es nie mehr tun.«
    So sprach der Junge, und im nächsten Augenblick verschwand er, so geschwind, wie er aufgetaucht war.
    Auf einer Flussaue auf halbem Weg nach Wertheim machte die Gauklertruppe halt, um die Nacht zu verbringen. Magdalena suchte Rudolfo in seinem Wagen auf, um ihm von dem mysteriösen Einbruch zu berichten. Doch den schien die Nachricht nicht allzu sehr zu beunruhigen. Im Gegenteil, Rudolfo schmunzelte wissend, alshabe er damit gerechnet. Und als er das Eisenschloss an der Wagentüre geprüft und für unbeschädigt befunden hatte, gab er sich zufrieden und meinte, Halunken gebe es überall, aber sie hätten sich geirrt, wenn sie bei ihm große Reichtümer erwartet hätten. Jedenfalls fehle keine von seinen Habseligkeiten.
    Während er so redete, sah Rudolfo Magdalena durchdringend an, wie er es bei allen Begegnungen zuvor schon getan hatte. Sein stechender Blick wirkte auf sie in keiner Weise anmaßend oder gar anzüglich, vielmehr erzeugte er in ihr eine seltsame Wärme und ein Gefühl, als ob er ihr Bewunderung entgegenbrächte. Das verunsicherte sie umso mehr, als sie Zweifel hegte, ob sie sich das alles nicht nur einbildete.
    Augenblicklich wollte sich Magdalena zurückziehen, bevor die Situation für beide peinlich zu werden drohte. Da sprach Rudolfo, scheinbar belanglos und ohne Hintergedanken, ein paar Worte, die ihr Leben verändern sollten. Er sagte: »Kommst du morgen wieder?«
    »Warum?«, erwiderte Magdalena, nicht weniger darauf bedacht, beiläufig zu klingen.
    Da fasste Rudolfo Magdalena an den Oberarmen und drückte sie auf die hölzerne Truhe, die rechter Hand an der Wand mit den vielen Büchern stand. Er selbst nahm ihr gegenüber auf der anderen Truhe Platz. Im Gauklerwagen herrschte große Enge, sodass ihre Knie sich fast berührten. Magdalena war sehr darauf bedacht, seinen Berührungen auszuweichen.
    Nicht nur ihr eigener Eindruck, auch Bemerkungen der Gaukler hatten sie überzeugt, dass der Große Rudolfo ein sonderlicher Kauz war – vor allem was Frauen betraf. Es wäre allerdings falsch zu behaupten, diese Erfahrung hätte bei Magdalena eine gewisse Reserviertheit oder gar Ablehnung dem Sonderling gegenüber bewirkt. Im Gegenteil, ihre eigene Unbedarftheit, die durch die Jahre im Kloster noch gewachsen war, weckte ihre Neugierde, welche Bedeutung sich hinter Wörtern wie Tändelei, Minne oder Verzückung verbarg, Wörter, die sie nur aus Büchern kannte. Sie hatte gelernt, nur Jesus zu lieben und dieser Liebe in Gesängen und Gebeten Ausdruck zu verleihen.
    »Du bist schön«, erwiderte Rudolfo in Beantwortung ihrer Frage. »Ich kann dich nicht lange genug betrachten.«
    Unbewusst rückte Magdalena ihre Haube zurecht. Das hatte sie noch von keinem Mann gehört. Von wem auch? Sie glaubte zu erröten und zog es vor zu schweigen.
    »Du bist schön«, wiederholte Rudolfo beinahe hilflos. »Ich habe dir die Rolle der Scheintoten nur gegeben, damit andere sich nicht an dir ergötzen. Ich will, dass du deine Schönheit hinter einer abstoßenden Maskerade verbirgst. Kannst du mich verstehen?«
    Nein, wollte Magdalena sagen, doch sie schwieg beharrlich.
    »Die meisten Männer«, fuhr Rudolfo fort, und dabei leuchteten seine Augen, »streben nach Reichtum oder Macht, ich strebe nach Vollkommenheit und, was Frauen betrifft, nach makelloser Schönheit. Du musst wissen, ich habe nicht Melchior engagiert, diesen Bauern, sondern dich und deine Schönheit.«
    Magdalena wusste nicht, was sie von den Worten des Seiltänzers halten sollte. Konnte es sein, dass Rudolfo, der Große Rudolfo, sich über sie lustig machte und sich an ihrer Hilflosigkeit und Unsicherheit ergötzte?
    Plötzlich fiel er ihr wie ein Bettler zu Füßen, schob den Saum ihres Gewandes hoch und umfasste ihre Knie mit beiden Armen. Dies geschah mit solcher Heftigkeit, dass es schmerzte. Aber es war ein wohliger Schmerz, aus dem sie sich jederzeit mit einem Wort befreien konnte.
    Das machte ihr Mut, und sie sagte, was ihr von Anfang an auf den Nägeln brannte, das auszusprechen sie jedoch große Überwindung kostete: »Ich habe Angst. Ich habe mich noch nie einem Mann …«
    »Sprich nicht weiter!« Rudolfo blickte zu ihr auf. »Gerade das ist es, was dich so schön macht.

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