Die Frau des Seiltaenzers
gekannt hatte und von dem sie geglaubt hatte, nur vom Schicksal auserwählte Menschen würden seiner teilhaftig: Sie fühlte sich glücklich.
Dachte sie an ihre entbehrungsreiche Kindheit und die asketischen Jahre im Kloster der Zisterzienserinnen, dann war dies kaum verwunderlich; denn in jungen wie in späteren Jahren wurde sie gelehrt, der Mensch sei keinesfalls auf der Welt, um glücklich zu sein. Die Erde sei im Gegenteil ein Jammertal, und erst im Jenseits warte das wahre Glück. Für den diesseitigen Menschen sei das Glück jedenfalls nicht geschaffen und eher etwas Unanständiges.
Doch dieses unerwartete Glück erzeugte auch einen Zwiespalt der Gefühle. Denn so berauschend Rudolfos zaghafte Berührungen sein mochten – mehr war da nicht –, bei Magdalena riefen sie den innigen Wunsch nach mehr hervor. Sie sehnte sich danach, sich dem Großen Rudolfo hinzugeben. Gleichzeitig hatte sie eine höllische Angst davor.
Natürlich schuf Rudolfos Affäre mit Magdalena in der Gauklertruppe böses Blut. Dafür sorgten schon der buckelige Quacksalber und die Wahrsagerin Xeranthe. Vor allem in der rothaarigen Xeranthe, die von sich behauptete, aus dem Funkeln eines faustgroßen Halbedelsteins die Zukunft vorhersehen zu können, hatte Magdalena eine Todfeindin gefunden. Aber das beruhte auf Gegenseitigkeit, seit die Wahrsagerin in blinder Eifersucht auf Magdalena losgegangen war.
Abgekühlt war auch das Verhältnis zu Melchior, der sich durch den häufigen Umgang Magdalenas mit Rudolfo zurückgesetzt fühlte. Seine zunehmende Abneigung wuchs allmählich zu offener Feindseligkeit, die in abfälligen und kränkenden Bemerkungen zum Vorschein kam. Nicht dass Melchior sich irgendwelche Hoffnungen auf Magdalena gemacht hätte. Er sah in ihr noch immer das kleine Mädchen, das mit ihm über die Wiesen des väterlichen Lehens tollte. Nein, Melchior missfiel, dass Magdalena sich nach ihrer Flucht ausdem Kloster an den erstbesten Mann heranmachte – nur weil er auf dem Hochseil tanzen konnte. Zweifellos eine hohe Kunst, aber wer wollte wissen, unter welchen Umständen er sie erlernt hatte?
Rudolfos Vergangenheit war ein Geheimnis, das – eben weil es ein Geheimnis war – eine natürliche Neugierde erzeugte. Es schien, als sei der Seiltänzer über Nacht aus dem Boden gewachsen wie ein Pilz nach einem warmen Sommerregen. Fragen nach seinen Anfängen und dem Lehrer, der seine Kunst förderte, pflegte Rudolfo mit dem Hinweis zu beantworten, ein begnadeter Seiltänzer könne man nicht werden, man sei es. Im Übrigen wünsche er nicht an seine bescheidenen Ursprünge erinnert zu werden. So blieben alle Fragen und zwangsläufig alle Antworten verschleiert, und seit geraumer Zeit wagte keiner der Gaukler den Versuch, diesen Schleier zu lüften.
Dass Rudolfo etwas Geheimnisvolles, ja, Magisches an sich hatte, war auch Magdalena nicht verborgen geblieben. Ihre zurückhaltende Art und seine herausragende Könnerschaft hatten sie bisher jedoch davon abgehalten, Fragen zu stellen. Manchmal schien es ihr, als lebte der Seiltänzer in einer anderen Welt. Und gewiss trug auch dieses Anderssein, anders als alle Menschen, denen sie je in ihrem Leben begegnet war, dazu bei, dass sie sich mehr und mehr in die Welt des Seiltänzers verstrickte, ihm sogar hörig wurde.
An einem der warmen Sommerabende um Fronleichnam herum – Magdalena hatte sich, wie beinahe jeden Abend, in Rudolfos Gauklerwagen begeben – passierte etwas Merkwürdiges, etwas, das Magdalena zum ersten Mal veranlasste, Fragen zu stellen. Es war längst Schlafenszeit, und die beiden saßen im Kerzenschein in züchtiger Berührung wie Kinder, die Angst haben vor der eigenen Courage. Da klopfte es an die Tür des Gauklerwagens.
Rudolfo schien nicht geneigt, auf das Pochen zu reagieren, auch nicht, als die Klopfzeichen heftiger wurden. Er war nicht gewohnt, Gäste in seinem Wagen zu empfangen, es sei denn auf seine Einladung hin. Doch dann hörte man draußen eine tiefe Stimme, dielangsam und wie in einen Tonkrug sprach: »Satan adama tabat amada natas.«
Fragend sah Magdalena Rudolfo an, ob er wüsste, was das zu bedeuten habe. Doch der war, während er den seltsamen Worten lauschte, blass geworden und starrte tatenlos auf die Bücherwand gegenüber, als hätte eine fremde Macht von ihm Besitz ergriffen. Wenngleich Magdalena dem Wirrwarr der Worte nicht hatte folgen können, hingen die Laute im Raum, beschwörend und bohrend wie eine Zauberformel.
Mit gezwungenem
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