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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Lächeln versuchte Rudolfo, Magdalena die Angst zu nehmen, doch blieb es bei dem Versuch, als Magdalena mit Nachdruck die Frage stellte:
    »Rudolfo, was hat das zu bedeuten?«
    Derart in die Enge getrieben und weil das Klopfen erneut einsetzte, sprang Rudolfo auf, nahm Magdalena an der Hand und drängte sie zur Türe. »Ich will dir alles erklären«, flüsterte er mit gepresster Stimme. »Später. Bitte geh jetzt!«
    Magdalena sah keinen Grund, Rudolfos Aufforderung abzulehnen, wenngleich ihr die Umstände eigenartig und rätselhaft erschienen. Auf der Treppe des Gauklerwagens stand ein hochgewachsener Mann in einem weiten Reiseumhang. Als ein schmaler Lichtstrahl aus dem Wageninnern auf sein Gesicht fiel, drehte sich der Mann verschämt zur Seite. Dann machte er zwei weit ausholende Schritte, wobei er zwei Stufen auf einmal nahm, und verschwand im Wagen des Seiltänzers.
    Im Kloster Seligenpforten, wo zu gewissen Zeiten jede Rede verboten war, empfanden es die Nonnen als willkommene Abwechslung, fremde Gespräche heimlich zu belauschen. Manchen war dies sogar eine Lust wie das sündige Treiben in der lasterhaften Stadt Sodom am Toten Meer. Magdalena war da keine Ausnahme. Und so kehrte sie auf halbem Weg zu ihrem Nachtlager um und trat, von Neugierde geplagt, neben das einzige Fenster von Rudolfos Gauklerwagen.
    Dabei wurde sie Zeuge eines heftigen Gesprächs, welches ihr jedoch eher zur Last als zur Lust wurde. Die Worte, die an ihr Ohr drangen, schienen von Geheimnissen umwittert und klangen angsteinflößend wie die Geheime Offenbarung des Johannes. Die Visionen des Lieblingsjüngers des Herrn, der überall Feuer speiende Fabeltiere und vergeistigte Engel erkannte, deren Rede selbst studierte Exegeten nicht erklären konnten, diese Visionen hatte Magdalena stets als Ausgeburt eines Wahnsinnigen betrachtet, und auch ihr anerzogener Glaube hatte nicht vermocht, sie davon abzubringen.
    Die seltsamen Worte, mit denen der Fremde sich Zutritt zu Rudolfos Gauklerwagen verschafft hatte, ähnelten auf verblüffende Weise den Rätseln, welche der Apostel in seiner Offenbarung aufgab.
    »Wer seid Ihr?«, hörte sie Rudolfo fragen. »Nennt Euren Namen! Ich habe ein Recht, ihn zu erfahren. Denn offensichtlich seid Ihr einer der Neun. Jedenfalls gebrauchtet Ihr die geheime Formel der Unsichtbaren.«
    Mit seiner dunklen Stimme erwiderte der Fremde: »Dann nennt mich eben Decimus. So wie Euch der Name Quartus gegeben ist, der Vierte, so will ich der Zehnte sein.«
    »Ihr wollt mich foppen!«
    »Keineswegs.«
    »Es gibt nur neun Unsichtbare, die unter den Lebenden weilen.«
    »Ich weiß. Ich wollte auch nur deutlich machen, dass ich eingeweiht bin in die äußeren Umstände, die Euren Geheimbund umgeben, wenngleich ich von dem Wissen, das Ihr hütet, keine Ahnung habe.«
    »Und worauf begründet Ihr Euer – na, sagen wir einmal – Halbwissen?«
    »Das steht hier ebenso wenig zur Debatte wie mein wahrer Name. Also lassen wir es dabei: Nennt mich Decimus, wenn’s recht ist.«
    »Sei’s drum. Was also führt Euch zu mir zu so später Stunde? Ihr macht mich wirklich neugierig.«
    Als sammelte sich der Fremde, als brauchte er Zeit, um seine Gedanken zu ordnen, entstand eine lange Pause, bis er schließlich antwortete: »Ich möchte Euch ein Geschäft anbieten. Es geht – um das richtige Wort in den Mund zu nehmen – um Geld, viel Geld. Nein, lehnt mein Angebot nicht von vornherein ab. Hört erst an, was ich zu sagen habe.«
    »So redet endlich!«
    »Wir gehen schlimmen Zeiten entgegen. In Stadt und Land gibt es wenig zu essen, seit der Adel und die Pfaffen die aufständischen Bauern niedergerungen haben. Kein Mensch will in diesen Zeiten Gaukler sehen. Auch wenn es nur ein paar Kreuzer sind, die Ihr für Euren Mummenschanz verlangt. Herbst und Winter lassen nicht lange auf sich warten. Deshalb denke ich, Hunger und Kälte werden Euch und Eurer Truppe lange Zeit die einzigen Zuschauer sein. Dabei verfügt Ihr über einen Schatz, der Euch alle gleichsam über Nacht von der Notwendigkeit befreit, als fahrendes Volk ohne Achtung und Ehre über Land zu ziehen, verspottet und mancher Lächerlichkeit preisgegeben.«
    »Ich glaube zu ahnen, was Euch zu mir führt und – ich sage Nein, noch bevor Ihr Euer Begehren ausgesprochen habt.«
    »Augenblick!«
    Magdalenas Herz schlug bis zum Hals. Sie begriff nicht im Entferntesten, worum es in der Unterredung ging. Dann vernahm sie ein eindeutiges Klirren, so als habe der Fremde einen Säckel

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