Die Frau des Seiltaenzers
dem Ende neigte, lag noch immer quälende Schwüle über dem Land. Melchior, mit den Eigenheiten des Waldbodens eher vertraut als der Seiltänzer, ging, die Bahre fest im Griff, voraus. Rudolfo hielt das hintere Ende. Stumm trotteten Xeranthe und der Fuhrknecht nebenher.
Nach einer halben Meile wechselten Rudolfo und der Fuhrknecht die Position. »Was hast du mit ihr gemacht?«, fauchte der Seiltänzer die Wahrsagerin an.
Statt zu antworten, schüttelte Xeranthe nur den Kopf, als verstünde sie selbst nicht, wie es dazu hatte kommen können. Aber Rudolfo ließ sie nicht aus den Augen, und endlich begann die Wahrsagerin zu reden, stockend zuerst, doch dann brach es aus ihr heraus: »Ich habe Magdalena unter einem Vorwand in den Eichengrund gelockt. Ich sagte, wir könnten Pilze suchen, und ich wüsste eine Stelle, wo Steinpilze gedeihen, groß wie ein Kinderkopf. Noch bevor wir auch nur einen Steinpilz fanden, reichte ich Magdalena eineSchwarze Hagebutte gegen den Durst, schließlich eine zweite und eine dritte …«
»Hagebutten sind rot und nicht schwarz«, unterbrach Rudolfo Xeranthes Redefluss.
»Ich weiß«, erwiderte die Wahrsagerin. »Schwarze Hagebutte ist ein teuflisches Gift.«
Der Seiltänzer blieb sprachlos stehen.
»Man öffnet die Hagebutte mit einem kleinen Schnitt, entnimmt das pelzige Mark und drückt stattdessen eine schwarze Tollkirsche in die rote Frucht …«
Mit bloßen Händen wischte sich der Seiltänzer den Schweiß aus dem Gesicht. Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg fort, dicht hinter ihm Xeranthe. »Dann hast du die Tat eiskalt geplant.«
Xeranthe antwortete nicht.
»Ich kann dir nur wünschen, dass Magdalena überlebt«, fuhr der Seiltänzer fort. »Mord wird in diesem Land mit Tod durch das Schwert geahndet, und sei versichert, ich werde nicht zögern, dich dem nächstbesten Dorfrichter und seinen Schergen auszuliefern.«
Als sie Magdalena auf die Trage gelegt hatten, hatte Rudolfo ein Zucken ihrer Augenlider bemerkt, doch seit einer knappen Stunde – so lange waren sie unterwegs – zeigte sie keine Regung mehr.
Xeranthe begann zu schluchzen. »Ich habe es nur wegen dir getan«, hörte er sie sagen, und dabei überschlug sich ihre Stimme. »Ich gab ihr das Gift, weil ich fürchtete, dich zu verlieren.«
Im Gehen wandte Rudolfo sich um und zischte: »Lächerlich! Man kann nur verlieren, was einem gehört. Ich habe dir nie Anlass gegeben, zu glauben, ich gehörte dir!«
» Noch nicht, Rudolfo! Die Karten sagten etwas anderes. Aus den Karten konnte ich lesen, wir würden noch in diesem Jahr vereint.«
»Dass ich nicht lache!«
»Die Karten lügen nicht!«
»Schweig!«
Bis zur Ankunft im Gauklerlager redete keiner mehr ein Wort.
Die anderen waren längst zurückgekehrt. Als der Quacksalber und der Riese Leonhard sahen, wie Melchior und der Fuhrknecht mit einer Trage aus dem Eichenwald kamen, hasteten sie ihnen entgegen und nahmen ihnen die Last ab.
»Sie lebt«, sagte der Seiltänzer an die Adresse des Quacksalbers, jedoch ohne den Blick von Magdalena zu lassen, »jedenfalls hat sie noch Lebenszeichen von sich gegeben, als wir sie im Wald fanden. Xeranthe hat ihr drei Schwarze Hagebutten zu essen gegeben. Du weißt, was Schwarze Hagebutten sind?«
»Natürlich«, antwortete der Quacksalber. »Die Dosis reicht, um ein Kalb vom Leben zum Tod zu befördern.«
Rudolfo kämpfte erneut mit den Tränen. Bei der Ankunft im Lager wollte er sich keine Blöße geben. Keiner von den Gauklern hatte den Seiltänzer je weinen gesehen.
Eilends schoben die Fuhrknechte eine Reihe Strohballen zusammen und legten Magdalena darauf.
»Wasser«, rief der Quacksalber, »ich brauche frisches Wasser, aber schnell.« Dann verschwand er für kurze Zeit in seinem Gauklerwagen und kehrte mit einem Trichter, Flaschen und allerlei seltsamen Instrumenten und Gerätschaften zurück.
Aus dem letzten Fass schöpfte Jadwiga, die Schlangenfrau, zwei Tonkrüge mit Wasser. Während die übrigen Gaukler um den Quacksalber herumstanden und gafften, öffnete dieser Magdalenas Mund mit einer Art Zange, schob ein Holzklötzchen zwischen Ober- und Unterkiefer und steckte den Trichter in ihren Schlund, als wäre es der Spund eines Fasses. Dann leerte er den blaugrünen Inhalt eines Fläschchens in einen der Krüge und begann das Wasser vorsichtig in den Trichter zu gießen.
Zunächst geschah nichts. Das Wasser verschwand gurgelnd in Magdalenas Leib, doch auf einmal begann sie unter dem Jubel der umstehenden
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