Die Frau des Seiltaenzers
allmählich zurückkehrte, endeten die Bilder, wie sie mit Xeranthe zum Pilzesuchen in den Eichengrund ging, vor einem schwarzen Vorhang.
Die Nacht verbrachte Magdalena in Rudolfos Gauklerwagen. Das fensterlose Schlafabteil, welches eine hölzerne Querwand vom Raum mit den Büchern trennte, hatte nur einen schmalen Durchlass, der stets verschlossen war. Dahinter verbarg sich ein kleiner, quadratischer Raum mit einer Liegestatt, keinem rohen, hölzernen Bettkasten, wie er in bürgerlichen Häusern üblich war, sondern einem mit Rosshaar ausgepolsterten und mit Dachsfell bezogenen Lager, das einem Schlossherrn zur Ehre gereicht hätte.
Als er sah, dass Magdalena nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte, zog ihr Rudolfo Kleid und Unterkleid über den Kopf, dass sie hüllenlos wie Eva im Paradies vor ihm stand, gerade so, wie der große Lucas Cranach sie für die Wohnstuben der Reichen malte. Einen kostbaren Augenblick weidete er sich an ihrer Erscheinung, an ihren weißen Brüsten, die nie das Sonnenlicht gesehen hatten, und den runden Hüften; dann drängte er sie behutsam durch den engen Durchlass, bettete sie auf das Lager und bedeckte sie mit einem weichen Fell.
In wohliger Verwirrung konnte Magdalena kaum unterscheiden, ob sie wach war oder träumte, als der Seiltänzer zu ihr unter das Fell schlüpfte und sie liebkoste. Zu ihrer Unsicherheit trug der Umstand bei, dass keine Funzel das fensterlose Schlafgemach erhellte. Und ihre Glieder waren schwer wie Blei.
Für Magdalena hätte dieses Traumgefühl an der SeiteRudolfos ewig dauern können, und sie konnte nicht sagen, wie lange sie so zwischen Traum und Wirklichkeit schwebte, als plötzlich lautes Geschrei ausbrach.
»Rudolfo, wach auf!«, rief Magdalena leise. Sie musste den Mann neben sich wach rütteln. Endlich – der Lärm wurde immer heftiger – erwachte der Seiltänzer. Hastig schlüpfte er in seine Kleider und stürzte zur Türe.
Lodernder Feuerschein und beißender Qualm schlugen Rudolfo entgegen. Der Marktschreier kam gelaufen: »Xeranthes Wagen brennt! Wir haben kein Wasser zum Löschen. Was sollen wir tun, damit Heu und Stroh und die anderen Gauklerwagen nicht Feuer fangen?«
Rudolfo überlegte kurz, dann rief er mit fester Stimme: »Zieht den brennenden Wagen aus dem Lager!«
Der Marktschreier machte eine hämische Bemerkung, die im Lärm und Getümmel unterging; doch es war nicht schwer zu erraten, was er meinte.
Mit bangen Augen verfolgte Magdalena vom Fenster des Gauklerwagens das geisterhafte Schauspiel. Rudolfo richtete die Deichsel – der einzige Teil des Wagens, der noch nicht in Flammen stand – geradeaus. Der Riese Leonhard peitschte einen Ochsen mit Zaumzeug herbei, um ihn vor den brennenden Karren zu spannen. Doch im Anblick des Feuers senkte das Tier den bulligen Nacken und nahm schnaubend Reißaus.
»Lass alle Tiere frei!«, rief Rudolfo dem Riesen zu. »Alle Männer zu mir! Wir müssen den Wagen von Hand aus dem Lager ziehen.«
Die Fuhrleute, der Marktschreier, der italienische Jongleur, der Riese Leonhard, sogar der Quacksalber, der das Geschehen bisher aus sicherer Entfernung beobachtet hatte, gingen Rudolfo zur Hand und legten sich an der Deichsel ins Zeug. Nach tagelangem Stillstand waren die Wagenräder jedoch so tief in den lehmigen Boden gesunken, dass es schier unmöglich war, sie aus ihren Kuhlen herauszubringen.
»Wo ist Melchior?«, rief Rudolfo gegen die immer heftiger prasselnden Flammen an. Er schien der Einzige zu sein, dem Melchiors Abwesenheit aufgefallen war.
Alle Rufe blieben erfolglos, und die Männer unternahmen einen letzten, verzweifelten Versuch, das brennende Gefährt aus dem Lager zu ziehen. Zu beiden Seiten der Deichsel rissen und zerrten die Gaukler wie gepeitschte Gäule. Endlich kam der Karren in Bewegung. Doch die Flammen schlugen immer höher. Schon züngelten sie am hinteren Ende der Deichsel. Das Fahrwerk brannte bereits.
Zwischen dem Karren des Quacksalbers und der fahrbaren Bühne der Menagerie klaffte eine Lücke, gerade so breit, dass der brennende Wagen Xeranthes hindurchpasste. Doch kurz vor dem Durchlass brach das brennende linke Vorderrad entzwei. Das Fahrzeug geriet heftig ins Wanken und drohte umzustürzen. Nun hieß es, nur nicht stehen bleiben.
Mit letzter Kraft gelang es den Männern, den brennenden Karren durch die Lücke im Pferch auf freies Feld zu zerren. Dort neigte er sich langsam zur Seite und stürzte krachend um wie ein weidwund geschossener Eber.
Xeranthes
Weitere Kostenlose Bücher