Die Frau des Seiltaenzers
Gaukler zu husten. Es schien, als wollte sie ihre Seele aus dem Leib würgen, und dabei schoss das Wasser, welches derQuacksalber eben in ihren Schlund geschüttet hatte, in hohem Strahl wieder heraus. Der Trichter flog davon wie eine Kappe im Wind, und Magdalena öffnete die Augen.
Mit ängstlichem Blick musterte sie die Umstehenden, die auf der Stelle verstummten. Als ihr Blick auf Xeranthe fiel, hielt sie kurz inne, machte den zaghaften Versuch, sich mit den Ellenbogen aufzurichten, doch dann sank sie mit geschlossenen Augen zurück auf die Strohballen.
»Ist sie tot?«, erkundigte sich die Schlangenfrau weinerlich.
Der Quacksalber nahm Magdalenas Arm und fühlte den Puls. Nach einem bangen Augenblick huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Die Gaukler klatschten in die Hände.
Da bäumte Magdalena sich plötzlich auf, als litte sie unter Höllenqualen. Mit heftigen Bewegungen wälzte sie sich von einer Seite auf die andere und stieß seltsame Laute aus, die erst allmählich verständlich wurden. Die Zwergenkönigin, die wie die anderen Gaukler keineswegs fromm war, schlug hysterisch die Hände über dem Kopf zusammen und rief ein ums andere Mal: »Sie ist vom Teufel besessen. Man muss einen Pfaffen holen.«
Magdalenas dämonisches Gestammel ähnelte in der Tat einem Wortschwall, wie Besessene ihn im Angesicht des Exorzisten von sich gaben. »Satan«, fauchte sie, »Satan Adama. – Reicht mir das Elixier, das Elixier wider die Fortpflanzung. – Hört Ihr den Teller, wie er redet, meilenweit? – Hephaistos, Hephaistos, zünde dein Wasser an! – Fließen soll das Licht, fließen! – Wo ist sie, die Schwerkraft, wo? – Seht nur, ich fliege!«
Niemand außer Rudolfo ahnte, welchen Ursprungs Magdalenas scheinbar sinnloses Gestammel war. Er hatte Angst, sie könnte ihn in ihren Fieberträumen verraten. Angst, die Gaukler könnten unangenehme Fragen stellen. Für Augenblicke kämpfte er mit sich, ob er das Gestammel einfach übergehen sollte – erklären durfte er es jedenfalls nicht.
Dann aber sagte der Quacksalber, den Blick auf Rudolfogerichtet: »Wir dürfen ihre Phantastereien nicht zu ernst nehmen. Eine einzige Tollkirsche ist geeignet, das Gedächtnis eines Menschen bis zum Wahnsinn zu verwirren. Magdalena wurden drei der schwarzen Perlen verabreicht. Wir können von Glück reden, wenn Magdalena den Anschlag überlebt.«
»Den Anschlag?« Ein Raunen ging durch die Gaukler.
»Es war ein Anschlag«, erwiderte der Große Rudolfo. »Eine aus unseren Reihen hat Magdalena aus niederen Beweggründen nach dem Leben getrachtet.«
Da wurde es still. Magdalena wurde ruhiger. Man konnte sehen, wie sich ihr Brustkorb regelmäßig hob und senkte. Von den Gauklern sah einer den anderen an, bis schließlich die Blicke aller auf Xeranthe haften blieben.
Die Kartenlegerin fühlte sich ertappt. Aus einem Dutzend Augen schlugen ihr Wut und Feindschaft entgegen. Lange vermochte Xeranthe den Blicken nicht standzuhalten. Sie drehte sich um, raffte ihr Kleid, wobei die Karten, mit denen sie in die Zukunft zu blicken pflegte, auf den lehmigen Boden klatschten, hetzte, als wäre der Teufel hinter ihr her, zu ihrem Gauklerwagen und verrammelte die Türe von innen.
Der Riese Leonhard folgte ihr mit weit ausholenden Schritten und rüttelte an der schmalen Eingangstüre, dass der Wagen ins Wanken geriet und umzustürzen drohte, hätte nicht Rudolfo eingegriffen und den tobenden Riesen mit eindringlichen Worten von seinem Vorhaben abgebracht. Gaukler, meinte Rudolfo, lebten zwar recht- und gesetzlos, dennoch sei es nicht Leonhards Aufgabe, über Xeranthe zu richten.
Im Verlauf der heftigen Diskussion, die darüber entstand, was mit der Wahrsagerin geschehen solle – Einigkeit bestand nur darüber, dass Xeranthe die Truppe verlassen musste –, hatte niemand mehr auf Magdalena geachtet. Sie hatte unerwartet schnell das Bewusstsein wiedererlangt und war aus ihren Albträumen erwacht. Nun wunderte sie sich über das wilde Geschrei.
Als Rudolfo bemerkte, dass Magdalena sich aufrichtete, rannen Tränen der Rührung über sein Gesicht. Rasch eilte er zu ihr, schloss sie in die Arme und küsste sie auf die blasse Stirn.
»Ich habe mir solche Sorgen gemacht«, sagte er. Und leise fügte er hinzu: »Ich liebe dich, Magdalena. Hörst du, ich liebe dich.«
Magdalena hatte Mühe, ihre Gedanken zu ordnen. Erfolglos versuchte sie den Zeitablauf eines ganzen Tages zu rekapitulieren. Während die Erinnerung an längst Vergangenes ganz
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