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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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zerlumpte Kleidung in Ordnung zu bringen. Schließlich blickte er hoch und rang nach Luft: »Verzeiht, allergnädigster Herr, kurfürstliche Gnaden, ich bin drei Tage und zwei Nächte durch die Wälder gelaufen, um Euch um ein Gnadenbrot zu bitten. Es ist nicht für mich, allergnädigster Fürst, ich habe mich die vergangenen Tage trefflich von Pilzen und Beeren ernährt, die der Wald hergab. Es ist für mein Weib und die zehn Kinder, die seit Wochen ohne Nahrung sind.« Als er weiterredete, überschlug sich seine Stimme: »Die Ketzer, Gefolgsleute des sächsischen Mönchs, haben uns das bescheidene Haus über dem Kopf angezündet. Seither schlafen wir unter Bäumen. Eber, Wölfe und Füchse leisten uns Gesellschaft. Nun weiß ich nicht mehr ein noch aus. Allergnädigster Herr …«
    »Schweig!«, herrschte Albrecht den Bauern an. Die Worte des Mannes gingen ihm irgendwie nahe. Doch schon im nächstenAugenblick hatte er sich wieder in der Gewalt und meinte abfällig: »Warum hält Er sein Gemächt nicht im Zaum und setzt so viele Kinder in die Welt, wenn er sie nicht ernähren kann?«
    »Herr, es ist der Wille Gottes. Und obendrein ein bisschen Liebe – wenn Ihr mir die Bemerkung erlaubt.«
    Kirchner sah den Fürstbischof erschrocken an. Er erwartete ein Donnerwetter, einen der gefürchteten Wutausbrüche seines Herrn. Doch es kam anders. Albrecht von Brandenburg trat ganz nahe an den Bittsteller heran, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten, und mit gepresster Stimme, als sollte keiner der Umstehenden seine Worte hören, zischte er: »Das hat Er gut gesagt.« Und an seinen Sekretär gewandt: »Füllt dem armen Hund einen Sack mit Nahrung aus der Vorratskammer, so viel er tragen kann!«
    Der stinkende Bauer stand wie versteinert. Es dauerte eine Weile, bis er die unerwartete Wendung begriffen hatte. Schließlich warf er sich vor dem Erzbischof zu Boden, fasste nach dem Saum seines Talars und küsste ihn.
    Mürrisch zerrte Albrecht sein Gewand aus den Händen des Bittstellers. Den Lakaien gab er einen Wink, sie mögen ihn vom traurigen Anblick des Bauern erlösen.
    »Halte mir in Zukunft solches Gesindel vom Leibe«, knurrte er, an Kirchner gewandt, während die Lakaien den Bittsteller aus dem Audienzsaal drängten.
    Der Sekretär dienerte beflissen: »Es wird Euer kurfürstliche Gnaden erfreuen, den ersten Besucher heute Morgen zu empfangen.«
    »Name?«
    »Linus Coronelli.«
    »Kenne ich nicht.«
    »Ein Reliquienhändler aus Verona. Ihr habt ihm vor ein paar Jahren einen Nagel vom Kreuz unseres Herrn Jesus abgekauft.«
    Da erhellte sich die Miene des Erzbischofs von einem Augenblick auf den anderen, denn Albrecht von Brandenburg war einbegeisterter Reliquiensammler. Kein heiliger Knochen von Bedeutung war vor ihm sicher.
    Obwohl Coronelli längst aus seinem Gedächtnis verschwunden war, empfing Albrecht den Kaufmann aus Verona mit ausgestreckten Armen wie einen alten Freund. Der, ein kleiner Mann in vornehmer Kleidung und mit einem samtenen Barett auf dem Kopf, hatte zwei Diener in seiner Begleitung und eine Reisetruhe im Gepäck, fünf Ellen breit und zwei Ellen hoch.
    Nach der förmlichen Begrüßung und dem Austausch artiger Höflichkeiten gab Coronelli seinen Dienern ein Zeichen, die Truhe zu öffnen.
    Wie ein Lüstling auf die Dirnen im Badehaus, starrte der Kurfürst auf den Inhalt: In roten Taft gebettet, lagen da ein menschlicher Schädel, ein wuchtiger Oberschenkelknochen, eine Knochenhand, an der Daumen und Zeigefinger fehlten, und, in einem gesonderten Korb, undefinierbare Knochenreste, darunter einer in Größe und Farbe nicht unähnlich einer Flussmuschel.
    Der Reliquienhändler reichte dem Fürstbischof ein Paar Handschuhe aus weißem Ziegenleder und meinte: »Euer kurfürstliche Gnaden, bedient Euch!« Und dabei machte er eine einladende Handbewegung zur Truhe hin.
    Mit spitzen Fingern, die jedoch weniger Ekel als Ehrfurcht verrieten, griff Albrecht nach der Knochenhand, hielt sie gegen das Sonnenlicht, das spärlich durch die Spitzbogenfenster fiel, und richtete die kurze Frage an den Händler: »Von wem?«
    »Es ist die Linke des heiligen Vitus, ein Sizilianer, der sein Martyrium mit seinem Erzieher und seiner Amme teilte!«
    »Vitus von den vierzehn Nothelfern?«
    »Eben dieser, hoher Herr, der Patron gegen das Bettnässen der Kinder!«
    »Nicht gerade erste Wahl unter den Heiligen«, bemerkte der Fürstbischof und verzog das Gesicht, als habe er gerade an einem bepinkelten Bettlaken

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