Die Frau des Seiltaenzers
geschnuppert.
»Euer kurfürstliche Gnaden«, erregte sich Coronelli, »der Bischof von Prag wird Euch um diese Reliquie beneiden. Im dortigen Dom werden die fehlenden zwei Finger aufbewahrt. Ihr hättet aber immerhin drei!«
Ohne auf das Angebot einzugehen, legte Albrecht die knöcherne Hand zurück in die Truhe. Er deutete auf den Schädel: »Und wer ist das?«
»Die heilige Perpetua.« Der Reliquienhändler hob die Schultern, als wolle er sich dafür entschuldigen, dass er keine bessere Ware im Angebot hatte.
»Perpetua?« Das Gesicht des Erzbischofs verfärbte sich purpurfarben wie sein Talar. »Willst du mich verarschen, Veroneser? Papst Clemens nennt die Skelette der Apostel Petrus und Paulus sein Eigen, er hat einen verkohlten Ast von Mosis brennendem Dornbusch, die Schere, mit der Kaiser Domitian dem heiligen Johannes das Haar abschnitt. Sogar eine Münze aus dem Sündengeld, das Judas für den Verrat unseres Herrn Jesus erhielt, gehört ihm, ganz zu schweigen vom Schweißtuch der heiligen Veronika. Und da kommst du mit dem Schädel einer gewissen Perpetua, oder wie immer das Frauenzimmer geheißen haben mag, das keiner kennt!«
»Sie ist eine Heilige aus dem fernen Afrika«, wandte der Reliquienhändler ein, »und der Bischof von Antiochia bestätigt eigenhändig die Echtheit ihres Schädels.« Zum Beweis hielt er dem Fürstbischof ein abgegriffenes Pergament vor die Nase.
Albrecht von Brandenburg schob das Blatt beiseite. »Wertloses Gebein, ohne Bedeutung. Besorge mir eine Mantelhälfte des heiligen Martin oder den Schädel des Apostels Thomas. Die ließen sich zu Geld machen! In Halle werden Reliquien gezeigt, die Papst Leo mit einem Ablass von 4000 Jahren Fegefeuer ausgestattet hat! Weißt du, was das bedeutet, Veroneser? Du kannst die Zehn Gebote rauf und runter sündigen bis zum Überdruss. Dann kaufst du einen Ablasszettel, wirfst einen kurzen Blick auf das knöcherne Schambein der heiligen Veronika, und schon winkt einer der vierCherubim am Himmel mit der Fahne der ewigen Glückseligkeit. Aber nicht, wenn du irgendeinen afrikanischen Weiberschädel ausstellst.«
Die beiden Diener des Reliquienhändlers warfen ihrem Herrn verzweifelte Blicke zu und verstauten die Knochen verlegen in der Reisetasche. Coronelli verbeugte sich mehrmals hintereinander, und mit aufgesetzter Zerknirschtheit sagte er: »Euer kurfürstliche Gnaden, verzeiht, wenn meine Ware Euren kurfürstlichen Ansprüchen nicht genügt. Beim nächsten Mal werde ich Euch hochwertigeres Gebein anbieten.«
Mit einer abwehrenden Handbewegung gab Albrecht von Brandenburg dem Veroneser und seinen Dienern ein Zeichen, sich zu entfernen.
»Der Nächste!«, sagte er ungehalten an seinen Sekretär Kirchner gewandt und quetschte seine Körperfülle wieder in den Stuhl hinter dem Schreibtisch.
Kaum waren die Reliquienhändler verschwunden, betrat eine Frau in stolzer Haltung den düsteren Raum. Sie trug ein langes blaues Kleid aus feinstem Leinen, dessen Ärmel aus Taft sich an den Ellenbogen weiteten und Streifen eines gelben Unterfutters sehen ließen. Der auffallende gelbe Stoff ragte auch aus dem rundgeschnittenen Dekolleté hervor, verbrämt mit einer Einfassung aus dem blauen Leinen des übrigen Gewandes. Auf dem Kopf trug die Fremde eine bauschige weiße Haube, die ein Netz aus angedeuteten Stoffblüten umspannte.
»Und wer bis du?« Der Erzbischof erhob sich und musterte die Frau von Kopf bis Fuß.
Frauen erschienen höchst selten bei seinen Audienzen. Wenn, dann waren es Frauen, die sich in tiefer Verzweiflung an ihn wandten. Er hasste solcherart Gespräche. Diese Frau jedoch machte einen ungewöhnlich selbstbewussten Eindruck.
»Ich bin Magdalena, die Frau des Seiltänzers Rudolfo. Gewiss habt Ihr schon von ihm gehört.«
»Also eine Gauklerin?«, fragte Albrecht verwundert.
»Wenn Ihr mich so nennen wollt.«
Der Sekretär mischte sich ein: »Euer kurfürstliche Gnaden, der Große Rudolfo ist der bekannteste Seiltänzer der Welt! Er überquert reißende Ströme auf dünnem Seil, und kein Kirchturm der Welt ist ihm zu hoch, um ihn nicht auf schwankendem Seil zu besteigen.« Und an Magdalena gewandt: »So ist es doch?«
Magdalena nickte mit einem Lächeln.
»Und was führt dich zu mir?«, erkundigte sich der Fürstbischof. Er verschränkte die Arme vor der Brust und plusterte sich auf wie ein Pfau.
»Der Große Rudolfo schickt mich zu Euch mit der Bitte, ihm die Erlaubnis zu erteilen, den Westturm Eures Domes auf einem
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