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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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nicht selbst geträumt hatte, ob ihr Hirn, das in den vergangenen Tagen mehr als je zuvor zu verarbeiten hatte, ihr einen Streich gespielt hatte. Hatte sie die Formel etwa selber ausgesprochen? Vergeblich versuchte sie Baumbasts Worte zu wiederholen: Satan – Adama … Weiter kam sie nicht. Wie hätte sie die Formel im Halbschlaf sprechen können, wenn sie ihr nicht einmal im Wachzustand einfiel. Im Übrigen war es Baumbasts Stimme gewesen. Dessen war sie sich sicher.
    Immer wieder betrachtete sie den rätselhaften Forscher. Für einen Augenblick glaubte sie, eine Ähnlichkeit mit dem Unbekannten zu erkennen, dem sie nachts in den Mainauen begegnet war. Zwar hatte sie dessen Gesicht nur im Schein einer flackernden Laterne gesehen, aber je länger sie den Schlafenden betrachtete, desto unwahrscheinlicher erschien ihr der Gedanke. Nicht nur Baumbasts Stimme, auch seine Erscheinung und sein Auftreten unterschieden sich deutlich von dem mysteriösen Fremden.
    Magdalena zitterte am ganzen Leib. Vergeblich versuchte sie die Tränen zurückzuhalten, die plötzlich über ihre Wangen liefen, keine Tränen des Schmerzes, eher Tränen unsagbarer Ratlosigkeit. Was sollte sie tun? Die Ereignisse waren ihr längst über den Kopf gewachsen. Sie dachte an Flucht, an Ausbruch aus einem Teufelskreis, in den sie sich verstrickt hatte.
    Aber dann, in ihrer Verwirrung, vernahm sie Rudolfos Stimme: Du willst gegen dein Schicksal aufbegehren? Jetzt, da ich dich eingeweiht habe in die größten Geheimnisse der Menschheit? Ich habe deine Neugierde auf deinen eigenen Wunsch hin befriedigt. Und jetzt willst du gegen alle Vernunft die Flucht ergreifen? Magdalena …
    Benommen von Rudolfos Stimme und dem Inhalt seiner Worte, kauerte Magdalena mit angezogenen Beinen in der hintersten Ecke der Kajüte. Sie wusste nicht, wie sie dorthin gelangt war. Vermutlich hatte sie sich auf allen vieren vorwärtsgeschleppt. Sie vergrub den Kopf in den Knien und sehnte den Morgen herbei.

9. KAPITEL
    M it dem Glockenschlag morgens um neun betrat Joachim Kirchner das düstere Arbeitszimmer des Mainzer Erzbischofs: »Gott der Herr schenke Euer kurfürstlichen Gnaden einen gesegneten Morgen!«
    Albrecht von Brandenburg, Erzbischof und Kurfürst von Mainz, Sohn des Kurfürsten Johann Cicero von Brandenburg, ehemaliger Erzbischof von Magdeburg und Administrator des Bistums Halberstadt und nun mächtigster Kirchenmann nördlich der Alpen, gähnte hinter einem wuchtigen Eichentisch. Er trug einen Chorrock, eine purpurfarbene Mozzetta und ein schwarzes Barett und machte eine abfällige Handbewegung: »Schon gut, Kirchner. Was liegt heute an?«
    Kirchner, lang wie eine Bohnenstange, mit gekräuseltem rötlichem Haar und von auffallend blasser Haut, war Secretarius und Vertrauter Seiner Eminenz und am Hofe gefürchtet als listiger Intrigant. Ein eng anliegender schwarzer Talar brachte seine hagere Gestalt nicht gerade vorteilhaft zur Geltung. Mit einer angedeuteten Verbeugung, die sich darauf beschränkte, den Oberkörper in der Hüfte abzuknicken wie eine hölzerne Puppe, antwortete der Sekretär: »Die Audienz, Euer kurfürstliche Gnaden!«
    »Wie viele?«
    »Drei bis vier Dutzend. Meist Bittsteller und Gesindel.«
    »Schick sie fort, mir ist heut nicht nach Gesindel zumute.«
    Kirchner neigte den Kopf zur Seite, schlug scheinheilig dieAugen nieder und grinste devot: »Schon geschehen, Euer kurfürstliche Gnaden. Nur drei sind übrig geblieben.«
    Von draußen drang Lärm durch die breite Türe in den düsteren Raum. Albrecht sah seinen Sekretär fragend an. Im selben Augenblick wurde die Türe aufgestoßen, und mit wildem Geschrei stürzte eine zerlumpte männliche Gestalt in den Raum, verfolgt von zwei livrierten Lakaien, die an seiner heruntergekommenen Kleidung zerrten.
    Vor Albrecht warf sich die armselige Kreatur zu Boden, streckte die Arme aus, faltete die Hände wie zum Gebet und rief ein ums andere Mal: »Erbarmen, hoher Herr, Erbarmen!«
    Albrecht erhob sich hinter seinem Schreibtisch. Der purpurrote Talar ließ seine Leibesfülle noch massiger erscheinen. Und ehe die Lakaien den Unglücklichen an Händen und Füßen packen und aus dem Audienzraum schleifen konnten, gab der Erzbischof seinen Leuten ein Zeichen, von dem Mann abzulassen.
    Einen Augenblick herrschte peinliche Stille. Dann erhob Albrecht seine Stimme: »Was willst du, du Lump? Steh auf!«
    Der Gescholtene stand mühsam auf. Mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern versuchte er seine

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