Die Frau des Seiltaenzers
kurfürstlichen Gnaden!«
Kurfürst Albrecht von Brandenburg war wenig beliebt bei seinem Volk. Und seit dem Ende der Bauernkriege, seit er dieAufständischen, meist Bauern und kleine Leute, unter drakonischen Strafen zur Rechenschaft zog, hassten sie ihn wie den Teufel, und manche behaupteten ernsthaft, der Leibhaftige halte sich unter dem Prachtgewand Seiner kurfürstlichen Gnaden versteckt.
Einer der Gaffer, der Seiler Koloman, dem Magdalena bereits im Gasthaus begegnet war, rief plötzlich: »Hinauf zum Glockenturm!«
Im Nu fand sich eine Horde von zwei Dutzend Männern, die sich durch die Menschenmenge zum Turm drängten, mit Pflastersteinen und Prügeln bewaffnet.
Die schmale Turmtüre, vor Kurzem noch verschlossen, stand sperrangelweit offen. Schreiend wie Soldaten, zum Angriff bereit, stürmten und drängten sie die schmale Treppe empor bis zum oberen Geschoss, wo das Hanfseil befestigt war. Der Täter hatte den Ort längst verlassen. Nur eine abgebrannte Fackel und ein purpurner Handschuh, wie ihn der Fürstbischof bei profanen Anlässen zu tragen pflegte, lagen, in Eile zurückgelassen, auf dem steinernen Boden.
Inzwischen versammelte sich die Gauklertruppe um den toten Rudolfo. Khuenrath, der Riese von Ravenna, schluchzte wie ein kleines Kind, und Jadwiga, die polnische Schlangenfrau, ließ ihren Tränen freien Lauf. Megistos, der Quacksalber, stand da, starr wie eine knorrige Eiche, und blickte nachdenklich vor sich hin, den Blick gen Himmel gerichtet, als überlegte er, wie er dem toten Seiltänzer helfen könnte. Um ihn herum tänzelte die Zwergenkönigin, Haare raufend und immer nur rufend: »Mein Gott, wie soll das weitergehen!« Benjamino, der Jongleur, sonst ein Ausbund an Fröhlichkeit, verzog selbst im Augenblick tiefer Trauer sein Gesicht zu einem unergründlichen Grinsen. Der Einzige, an dem die Situation scheinbar ohne Regung vorüberging, war Forchenborn, der Marktschreier. Beherrscht, beinahe kaltschnäuzig und mit fester Stimme drohte er den Gaffern Prügel an, wenn sie nicht augenblicklich verschwänden.
Seine Worte blieben nicht ohne Wirkung. Allmählich zerstreute sich die Menge, und die Ablassprediger predigten auf einem beinahe menschenleeren Platz.
Megistos nahm sich Magdalenas an und brachte sie in Rudolfos Gauklerwagen. Dort verabreichte er ihr zwei Löffel einer geheimnisvollen Essenz, die sie ihren Schmerz für kurze Zeit vergessen ließ und in einen tiefen Schlaf versetzte.
Als sie erwachte, war es Nacht. Tiefe Wolken jagten über den Himmel und gaben bisweilen den Blick auf den rötlich schimmernden Mond frei.
Magdalena hielt es nicht in Rudolfos Gauklerwagen. Leise und ohne Aufsehen zu erregen, schlich sie zu der Stelle auf dem großen Platz, wo der Seiltänzer seine Seele ausgehaucht hatte. Die Blutlache, in der Rudolfo gelegen hatte, hatte sich fest in ihr Gedächtnis eingebrannt, dennoch fand sie keine Spur, die an das furchtbare Geschehen erinnert hätte.
Ratlos, an ihrem Verstand zweifelnd, kehrte sie zum Gauklerwagen Rudolfos zurück. Durch einen schmalen Spalt in der Fensterluke fiel ein schwacher Lichtschein. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie im Wagen ein Licht entzündet hatte. Um kein Geräusch zu verursachen, hatte Magdalena die Wagentüre nicht verschlossen. Sie zögerte, ob sie den Riesen Khuenrath wecken sollte, aber dann kamen ihr Bedenken, sie könnte in ihrer Zerstreutheit vielleicht doch vergessen haben, das Licht zu löschen. Mutig öffnete sie die Türe.
Der Anblick machte Magdalena sprachlos. Auf Rudolfos Stuhl saß Xeranthe, zynisch grinsend. Sie schien den Schock zu genießen, den ihr Anblick auslöste.
»Mich hast du wohl nicht erwartet?«, spottete die Wahrsagerin.
»Nein«, erwiderte Magdalena mit dünner Stimme und schüttelte den Kopf, zaghaft zuerst, dann immer heftiger, als wolle sie ein Hirngespinst vertreiben.
»Du – du bist gar nicht tot?«, stammelte sie wirr vor sich hin.
Xeranthe brach in lautes Gelächter aus, dass Magdalena ängstlich die Türe hinter sich schloss, aus Furcht, der Lärm könne die Gaukler anlocken und man würde sie beschuldigen, mit der Wahrsagerin gemeinsame Sache gemacht zu haben.
»Und die verkohlte Leiche mit dem Stirnreif, die wir am Mainufer beerdigt haben?«, erkundigte sich Magdalena kleinlaut.
Xeranthe weidete sich an Magdalenas Verwirrung, indem sie die Antwort lange hinauszögerte und sie durchdringend ansah.
»Melchior?« Der Gedanke traf sie wie ein Blitzschlag.
Mit großen Augen
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