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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Rudolfo.« Und als Kirchner ihrer Aufforderung nicht sofort nachkam, herrschte sie ihn an: »Verschwindet endlich!«
    Kopfschüttelnd verließ der Sekretär des Fürstbischofs den Pferchder Gaukler und verschwand in der Morgendämmerung des neuen Tages.
    Magdalena hielt einen Augenblick inne, um ihre Gedanken zu ordnen. Dann holte sie tief Luft und begab sich zum Wagen des Marktschreiers. Mit bloßen Fäusten trommelte sie gegen die Türe. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Forchenborn öffnete und den Kopf durch den Türspalt steckte: »Bist du verrückt geworden, einen alten Mann zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett zu trommeln?«
    »Xeranthe lebt! Ich habe sie in Rudolfos Gauklerwagen eingesperrt«, sagte sie ohne Umschweife.
    Sie hatte erwartet, dass der Marktschreier nicht anders reagieren würde: Er sah Magdalena lange prüfend an und blieb ebenso lange stumm. Nach einer Weile trat er, den Gürtel um seinen schwarzen Schlafrock schlingend, aus der Türe und nahm sie in die Arme. »Uns allen geht Rudolfos Tod sehr nahe, und keiner von uns weiß, wie es weitergehen soll. Dass dich die Umstände seines Todes erschüttert haben, kann ich gut nachvollziehen. Auch dass es dir nicht leichtfällt, dich mit der Realität abzufinden. Niemand kann dir verdenken, wenn deine Sinne verrücktspielen und du Dinge siehst, die es gar nicht gibt. Aber was Xeranthe betrifft: Xeranthe ist tot, bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Wir alle haben sie anhand ihres Stirnreifs identifiziert. Und jetzt gehe und lege dich wieder schlafen.«
    Da packte Magdalena den Marktschreier am Ärmel und zog ihn mit sich zu Rudolfos Gauklerwagen. Schon im Näherkommen bemerkte sie, dass die Türe offen stand, und am Ziel angelangt, erkannte sie, dass der Wagen aufgebrochen war. Im Innern brannte noch Licht.
    Forchenborn bedeutete Magdalena, sie solle warten, er wolle allein nach dem Rechten sehen. Langsam, einen Fuß vor den anderen setzend, sorgsam bedacht, kein Geräusch zu verursachen, näherte sich der Marktschreier der Holztreppe, stieg lautlos die fünf Stufen hoch und verschwand im Innern.
    Mit geöffnetem Mund lauschte Magdalena, ob sie irgendein Geräusch vernähme. Nichts. Endlich erschien der Marktschreier in der Türe und hielt ihr einen roten Handschuh entgegen.
    »Niemand da?«, fragte Magdalena zaghaft.
    Wortlos schüttelte Forchenborn den Kopf.
    Mit einem Mal begriff Magdalena, welche Bedeutung der purpurrote Handschuh hatte.

13. KAPITEL
    M agdalena hatte es unterlassen, den Marktschreier und die übrigen Gaukler von ihrem Vorhaben zu unterrichten. Deshalb wunderten sie sich, als sich der Liebfrauenplatz vor dem Dom schon am Vormittag mit Menschen füllte und die Ablassprediger mit ihren Schimpftiraden begannen.
    Gott weiß, wie es Kirchner so schnell gelungen war, die bevorstehende Sensation unter das Volk zu bringen, doch zeigte sich, dass nichts schneller wächst als ein Gerücht. Die meisten wollten einfach nicht glauben, was man hinter vorgehaltener Hand tuschelte: dass die Frau des zu Tode gekommenen Seiltänzers nun selbst auf das Seil klettern und den rechten Domturm am Ostchor besteigen wolle. Ein Skandal, niederträchtiger als alle Liebschaften Seiner kurfürstlichen Gnaden! Schließlich hatte es noch nie eine Frau gewagt, öffentlich auf einem Seil zu balancieren, wobei man ihr bei jedem Schritt lüstern unter die Röcke schauen und sich an ihrem Anblick sündhaft ergötzen konnte.
    Kurz vor dem Angelusläuten gab Magdalena den Fuhrknechten den Auftrag, ein neues Seil zum Turm zu spannen, so, wie sie es am Vortag getan hatten. Nur mit Murren kamen die Knechte der Anweisung nach, da sie nach dem Ableben des Seiltänzers keinen Sinn darin sahen und nicht die geringste Vorstellung hatten, was Magdalena damit bezweckte.
    In Rudolfos Gauklerwagen hielt Magdalena zur selben Zeit das in Leder gebundene Buch mit der eingearbeiteten Phiole inHänden. Sie kannte die Wirkung des Elixiers, doch wusste sie nicht, wie sie zustande kam und welche Nebenwirkungen das Gebräu haben mochte. Rudolfo hatte sich manchmal höchst merkwürdig verhalten.
    Doch dann gab sie sich einen Ruck, öffnete das Glasröhrchen und träufelte sich die fünf letzten Tropfen auf die Zunge, so wie sie es bei Rudolfo beobachtet hatte. Damit war die Phiole leer – der Trank aufgebraucht. Schließlich legte sie sich aufs Bett und starrte, in Erwartung wundersamer Gefühle, zur Decke.
    Eine Weile geschah gar nichts, nur Magdalenas Herz begann zu rasen, weil sie

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