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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Septimus gewandt, »in dieser Menschenansammlung wird Euch niemand erkennen. Im Übrigen bin ich sicher, dass Ihr nicht der Einzige auf diesem Platz seid, nach dem wegen Unterstützung der Aufständischen gesucht wird.«
    »Euer Wort in Gottes Ohr!«, erwiderte dieser und drückte dem anderen die Hand.
    Dann wandten sich die acht Männer wieder der Frau des Seiltänzers zu, die gerade Anstalten machte, einen Fuß auf das Seil zu setzen. Auf dem Liebfrauenplatz verebbte der Lärm.
    »Man sagt, das Weib habe noch nie auf einem Seil balanciert«, raunte Primus den anderen zu, und an seinen Nachbarn gewandt, stellte er die Frage: »Was meint Ihr, Sextus, haltet Ihr es für möglich, dass ein Weib mit eisernem Willen eine solche Leistung vollbringt und der Anziehungskraft unserer Mutter Erde trotzt? Ihr seid einweit gereister Mann und habt mehr erlebt als wir alle. Habt Ihr so etwas schon einmal gesehen?«
    Sextus spitzte den Mund und hob die Augenbrauen: »In Arabien habe ich Elefanten, die in unseren Breiten unbekannten Rüsseltiere, mit vier Beinen über zwei Seile laufen sehen und auf meine Frage, wie das mit den Gesetzen der Naturwissenschaft vereinbar sei, die Antwort erhalten: üben, üben, üben. Wie ich in meinem Buch ›De incertitudine et vanitate scientiarum‹ 2 erwähnt habe, sind die Naturgesetze eigentlich nur dazu da, um gebrochen zu werden. Die ›Bücher der Weisheit‹ wissen darüber sicher mehr zu berichten.«
    »Tacent libri suo loco!« , fuhr Octavus dazwischen.
    »Ihr seid doch Wahrsager von Beruf«, scherzte Quintus. »Ihr müsstet doch eigentlich den Ausgang dieses Abenteuers kennen.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf Magdalena, die bereits ein kurzes Stück hinter sich gebracht hatte.
    »Aber natürlich«, entgegnete der Wahrsager und schmunzelte wissend. »Sie wird ihr Ziel ohne Fehltritt erreichen. So wahr ich Michel de Nostre-Dame bin.«
    »Euer Name ist uns allen hinreichend bekannt«, bemerkte Secundus, der bärtige Dichter unter den acht, »ich hoffe nur, Ihr behaltet recht mit Eurer Vorhersage. Sonst …«
    »Was sonst?«
    »Sonst hättet Ihr, denke ich, Euren Beruf verfehlt! Denn ein Sterndeuter und Wahrsager, der falsche Prophezeiungen verbreitet, sollte sich besser nach etwas anderem umschauen, anstatt bei den Menschen falsche Hoffnungen zu wecken und Ängste zu schüren.«
    Lautstark ereiferte sich Octavus: »Das sagt ausgerechnet Ihr, der sein Brot mit peinlichen Schmähschriften und unappetitlichen Komödien über das Leben der römischen Kurtisanen verdient!«
    »Pssst!« Nonus galt als der große Schweiger unter den Unsichtbaren, weil er einer sprachlosen Kunst nachging, die nur das Augeerfreut. Er mahnte zur Zurückhaltung, weil die umstehenden Zuschauer bereits auf die Auseinandersetzung aufmerksam geworden waren. »Erinnert Euch, wer und wo Ihr seid!«, zischte er hinter vorgehaltener Hand.
    Nach Rudolfos Vorbild ruderte Magdalena mit den Armen, als wollte sie sich an der Luft festhalten. Das verlieh ihren steifen Bewegungen eine gewisse Anmut und entlockte manch männlichem Zuschauer ein bewunderndes »Ah« und »Oh«, den Weibern allerdings nur verächtliche Blicke. Doch je weiter sich Magdalena von ihrem Ausgangspunkt entfernte, desto stiller wurde es auf dem Liebfrauenplatz.
    »Ihr seid so still, Tertius«, flüsterte Primus dem hageren Mann an seiner Seite zu. Seine weibische, gelockte Haarfrisur und die feingliedrigen Finger seiner Hände, die er, angstvoll nach oben blickend, vor den Mund gepresst hielt, ließen ihn eher wie einen empfindsamen Schöngeist erscheinen denn als das, was er war: Mathematiker, Mediziner und Astronom.
    »Mir ist bange um die Frau auf dem Seil«, flüsterte er, ohne den Blick von ihr abzuwenden. »Je weiter sie sich von der Erde entfernt, desto heftiger wirkt die Schwerkraft auf ihren Leib, und mit jedem Schritt, den sie tut, wächst die Gefahr. Ich weiß, wovon ich rede.«
    »Ihr müsst es wissen, Kopernikus«, raunte Primus seinem Nachbarn zu. »Oh, verzeiht, Euer Name ist mir so herausgerutscht. Ihr kennt die geheimen Kräfte der Erde besser als jeder andere auf diesem Platz. Mutig, mutig, wie Ihr es sogar mit dem Papst aufnehmt, der nach wie vor behauptet, dass sich die Sonne um die Erde dreht und unser Planet das Zentrum des Weltalls ist. Übrigens: Ihr dürft das Seiner Heiligkeit nicht verübeln. Er hat einfach Schwierigkeiten, seinen Gläubigen zu erklären, ob sich die Erlösung durch unseren Herrn Jesus auch auf andere Planeten

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