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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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bezieht, die in der Bibel gar nicht erwähnt werden.«
    »Im Ernst«, unterbrach Tertius den Redefluss von Primus, »ich halte es für möglich, dass die Frau die außerordentliche Begabungbesitzt, den Kräften der Natur zu trotzen. Seht nur, wie leichtfüßig sie voranschreitet, sie scheint geradezu zu fliegen, ohne körperliche Schwere!«
    »Ihr glaubt also, dass das Schauspiel vor unseren Augen nicht mit rechten Dingen zugeht!«
    »Glauben heißt: nicht wissen.«
    Vor dem letzten Stück, das steil zum Turm anstieg, legte Magdalena eine Pause ein und winkte ins Publikum. Und mit einem Mal brach Jubel und Beifall aus, dass der Lärm bis zum Rathaus am Rheinufer zu vernehmen war.
    Nachdem sie lange genug den Beifall ausgekostet hatte, nahm Magdalena das letzte, steiler werdende Stück in Angriff. Tief unter ihren Füßen war es wieder still geworden, beinahe andächtig still. Zum ersten Mal auf ihrem Weg zur Turmspitze spürte sie, dass sie der Tanz auf dem Seil eine Menge Kraft kostete. Verzweifelt versuchte sie sich zu erinnern, ob Rudolfo das steilste Stück langsam und bedächtig oder mit Anlauf und Schwung angegangen war. Aber wie alles war auch diese Erinnerung seit der Einnahme des Elixiers in ihr verblasst. Deshalb stieg sie langsam und bedächtig, wie sie begonnen hatte, weiter aufwärts.
    Hätte sich ihr Gedächtnis nicht so eingetrübt und die Erinnerung an die behandschuhte Hand mit der Fackel, die Rudolfo den Tod gebracht hatte, verdrängt – Magdalena wäre gewiss ins Straucheln geraten; so aber setzte sie, das Ende des Weges fest im Blick, den Aufstieg ungerührt fort.
    Keine zehn Ellen vor dem Ziel hielt sie noch einmal inne. Den Zuschauern auf dem Liebfrauenplatz stockte der Atem. Selbst die acht Männer, die sich noch vor Kurzem großsprecherisch hervorgetan hatten, verstummten abrupt.
    Mit einem Anflug von Stolz und dem Bewusstsein, dass ihr Vorhaben kaum noch scheitern konnte, richtete sich Magdalena auf, breitete die Arme waagerecht aus wie ein Adler im Flug und legte so die letzten Schritte zurück. Oben angekommen, umarmte sie dieschlanke Säule zwischen den beiden Rundbogenfenstern, um die das Seil geschlungen war.
    »Mag-da-le-na!«, schallte es von unten herauf. Der Beifall und die Hoch-Rufe wollten nicht enden.
    Doch bei Magdalena kam seltsamerweise kein Triumpfgefühl auf, nicht einmal Stolz, etwas vollbracht zu haben, was vor ihr noch keiner Frau gelungen war. In ihrem Innersten fühlte sie nichts als eine große Leere.
    Magdalena kamen Zweifel, ob sie überhaupt noch sie selbst war. Zwar fühlte sie die magische Kraft, eine Energie, die sie zu schier Unmenschlichem befähigte, aber sich selbst spürte sie nicht. Keine Gemütsregung, Ergriffenheit oder Rührung, von Leidenschaft oder Erregtheit ganz zu schweigen. Nur Müdigkeit verspürte sie, die sich von einem Augenblick auf den anderen einstellte. Die steile Treppe, zehn Stockwerke turmabwärts, forderte ihre letzten Kräfte.
    Unten angelangt, wurde sie von den Gauklern umringt und bejubelt. Der Marktschreier Forchenborn küsste ihr die Hände. Im Überschwang seiner Gefühle zerrte Benjamino, der Jongleur, an ihrem Gewand und rief immer wieder: »Complimenti, complimenti!« Und der buckelige Quacksalber stammelte, immer nur den Kopf schüttelnd: »Tadellos, tadellos!« Schließlich packte sie der Riese Khuenrath an den Hüften und setzte sie auf seine rechte Schulter. So traten sie aus dem Turm des Ostchores auf den Liebfrauenplatz.
    Magdalena winkte mechanisch wie eine Marionette und mit künstlichem Lächeln in die drängende Menge. Nur wenigen, darunter dem Marktschreier, fiel ihr merkwürdiges Verhalten auf; aber auch Forchenborn schrieb dies der übermenschlichen Anstrengung zu, die der Tanz auf dem Seil gefordert hatte.
    Nach der Ankunft im Gauklerlager wurde Magdalena bestürmt, wo und wie sie ihre Kunst erlernt und warum sie ihr Können bislang verschwiegen habe. Nur der Marktschreier hielt sich auffallend zurück. Er hatte schon bei Rudolfo den Verdacht gehegt, dass es in Ausübung seiner Kunst nicht mit rechten Dingen zugegangensein könnte; doch hatte er nie gewagt, den Seiltänzer zur Rede zu stellen. Der Marktschreier war sich bewusst, dass die Truppe ohne die Kunst des Großen Rudolfo nicht halb so viel wert war.
    Magdalenas unerwarteter Auftritt bestätigte nur seine Vermutung. Als Novizin im Kloster konnte sie kaum die Gauklerkunst des Seiltanzes erlernt haben. Und Zweifel waren angebracht, ob Rudolfo in der Lage

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