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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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gewesen war, sein außergewöhnliches Können in der kurzen Zeit zu vermitteln. Als Forchenborn sah, wie erschöpft Magdalena war, drängte er die übrigen Gaukler beiseite und geleitete sie zu Rudolfos Wagen, wo sie sich von den Anstrengungen ihres Auftritts erholen sollte. Dort angekommen, verriegelte Magdalena die Türe hinter sich, legte sich nieder und fiel sofort in tiefen Schlaf.
    Sie konnte nicht ahnen, was sich alles ereignete, während sie schlief. Auf dem Liebfrauenplatz hatte ihr die Menge zugejubelt. Niemandem waren dabei die Domherren aufgefallen, die sich neugierig unter das Volk gemischt und augenlüstern gegafft hatten, wie die Frau des Seiltänzers mit Leichtigkeit ihre Kunst vollführte. Nach dem Ende der Vorführung, als sie sich sattgesehen hatten, waren sie in der Dompropstei zusammengekommen, um sich gegenseitig zu bestätigen, was ihnen schon vor der Darbietung klar gewesen war: dass ein Frauenzimmer, welches sich derart vor dem Volk produzierte, gegen die Gesetze der Moral verstieß und, schlimmer noch, mit dem Teufel im Bunde stand. Kein gottesfürchtiges Weib war fähig, auf einem Seil den Dom zu besteigen, es sei denn, es hatte seine Seele dem Teufel verschrieben. Im Falle der Gauklersfrau handelte es sich ohne Zweifel um Hexerei.
    Da traf es sich gut, dass im nahen Frankfurt, wo der Teufel schon immer ein zweites Zuhause hatte, drei Dominikaner der Heiligen Inquisition umgingen. Eilends sandten die Domherren nach ihnen, der Fall bedürfe raschen Handelns, bevor noch mehr Mainzer Bürger der teuflischen Seiltänzerin verfielen.
    Gegen Abend kehrte Albrecht von Brandenburg von der Jagd in den Rheinauen zurück, wo seine Treiber sieben Wildsauen und ein halbes Hundert Hasen erlegt hatten. Seine kurfürstliche Gnaden selbst pflegte nicht zu jagen. Der Fürstbischof zeigte sich wenig erschüttert von der Nachricht, der Große Rudolfo sei in Ausübung seiner Kunst zu Tode gekommen. Sein Sekretär Joachim Kirchner vermied es, auf die näheren Umstände einzugehen, und Albrecht schien auch nicht weiter daran interessiert. Vielmehr erkundigte er sich nach den Einnahmen der Ablassverkäufer, die Kirchner am liebsten in Demut verschwiegen hätte, weil der Aufwand den Ertrag kaum rechtfertigte. Kirchner zog sich sogar den Zorn seines geistlichen Herrn zu, der ihn einen Nichtsnutz schalt und noch andere wenig schmeichelhafte Namen für ihn fand.
    »Hast du wenigstens die Gaukler samt ihrem toten Seiltänzer davongejagt?«, erkundigte sich Albrecht von Brandenburg, nachdem er seinem Unmut Luft gemacht hatte.
    »Nein«, erwiderte Kirchner, »darüber wollte ich erst mit Euch reden. Es hat sich nämlich Wundersames zugetragen.«
    »Wundersames?«
    Es gab kaum einen Begriff, der den Fürstbischof so in Aufregung versetzte wie »Wundersames«. Das wusste der Sekretär Seiner kurfürstlichen Gnaden sehr wohl, und er gebrauchte ihn bisweilen, um das eigene Fell zu retten. So auch dieses Mal.
    »Zwar stürzte der Große Rudolfo zu Tode«, erklärte Kirchner mit erhobener Stimme, »aber am nächsten Tag stieg die Frau des Seiltänzers auf den Turm des Ostchores, der Rudolfo zum Verhängnis geworden war. Die Mainzer waren außer sich!«
    Der Fürstbischof warf seinem Sekretär einen ungläubigen Blick zu. »Und das hast du mit eigenen Augen gesehen? Ich meine, du kannst bezeugen, dass diese Frau auf einem Seil den Turm bestieg? Und sie weilt noch immer unter den Lebenden?«
    »Ich schwöre es bei allen Heiligen! Und Hunderte, wenn nicht Tausende wurden ebenfalls Zeugen. Das Volk tobte vorBewunderung, als Magdalena mit traumwandlerischer Sicherheit auf dem Hanfseil himmelwärts schritt wie dereinst die Jungfrau Maria bei ihrer Aufnahme in den Himmel.«
    Albrecht von Brandenburg schüttelte den Kopf. »Das Weib ist nicht nur schön und klug, es verfügt auch über Fähigkeiten, die den Verdacht aufkommen lassen …«
    »Euer kurfürstliche Gnaden«, fiel Kirchner seinem Herrn ins Wort, »ich bitte Euch, sprecht nicht aus, was Ihr denkt! Die Domherren haben bereits nach der Inquisition gerufen.«
    Mit einer abfälligen Handbewegung wischte Albrecht Kirchners Einwand beiseite. »Wie anders wäre das alles zu erklären, wenn nicht damit: Das Weib steht mit dem Teufel im Bunde. Dieses Frauenzimmer ist eine Hexe!«
    Kirchner schlug ein flüchtiges Kreuzzeichen, das kaum als solches zu erkennen war, und faltete die Hände. Er schwieg. Er schwieg, weil es aussichtslos war, dem Fürstbischof zu widersprechen. Jeder

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