Die Frau des Seiltaenzers
Widerspruch veranlasste Albrecht von Brandenburg nur dazu, noch fester auf seiner Meinung zu beharren.
»Ihr wollt sie wirklich der Heiligen Inquisition überlassen?«, erkundigte sich Kirchner kleinlaut.
Der Fürstbischof hob die Schultern. »Glaubst du, die Frau des toten Seiltänzers könnte uns anderweitig von Nutzen sein?« Er stieß einen tiefen Seufzer aus: »Kirchner, wir brauchen Geld. Und ich weiß nicht, woher ich es nehmen soll. Obwohl ich Matthäus Schwarz, den Abgesandten dieses vor Geld stinkenden Fuggers, zur Jagd eingeladen und ihm Honig ums Maul geschmiert habe, beharrt er auf seiner Forderung: 11000 Rheinische Gulden Zins und Zinseszins für das Darlehen und noch einmal so viel an Tilgung! Ich frage dich, Kirchner, woher nehmen und nicht stehlen? Wäre der Fugger ein christgläubiger Mensch und kein gottloser Heide, der nur den Mammon anbetet, er würde uns für einen vollkommenen Ablass alle Schulden erlassen.«
»Euer kurfürstliche Gnaden«, erwiderte der Sekretär zornentbrannt, »wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, JakobFugger lebt vom Geldverleih, und Ihr verdankt dem Augsburger Amt und Würden. Ohne sein Geld wäret Ihr heute noch Bischof von Magdeburg und Administrator von Halberstadt. Geld regiert nun einmal die Welt. Aber wem sage ich das!«
»Kirchner!« Erzürnt unterbrach der Kardinal den Redefluss seines Sekretärs. »Ich verbiete dir, so mit mir zu reden. Solche Worte aus deinem Mund treffen meine reine Seele. Oder hat dich das Weib des Seiltänzers auch schon verhext?«
»Verhext? – Mit dem Weib, erlauchter Fürst, hat das wenig zu tun, genau genommen nicht das Geringste. Mit Verlaub, die bittere Wahrheit ist, Ihr lebt seit geraumer Zeit über Eure Verhältnisse, mit anderen Worten: auf Pump, also mit dem Geld anderer Leute. Kein Wunder, wenn sie es irgendwann einmal wiederhaben wollen. Aber wir schweifen ab. Wollt Ihr die Frau des Seiltänzers wirklich der Inquisition überlassen?«
»Was spricht dagegen?« Albrecht grinste hinterhältig.
»Euer kurfürstliche Gnaden, Ihr wisst doch, was das bedeutet!«
Der Kardinal nickte ohne jede Regung.
Am nächsten Morgen.
Noch vor Tagesanbruch war Rudolfos Leiche vom Leichhaus außerhalb der Stadtmauer ins Armenhospital gebracht worden. Nur wenige neben Albrecht von Brandenburg und seinem Sekretär Kirchner durften davon wissen, weil der Plan, den der Fürstbischof hegte, nach dem Dogma der Kirche verwerflich und nach den Gesetzen des Reiches strengstens verboten war.
Albrecht und sein Sekretär Kirchner hatten die ganze Nacht diskutiert, bevor sie ihren Plan fassten. Kirchner stand dem Vorhaben zunächst ablehnend gegenüber, bis ihn Seine kurfürstliche Gnaden eines Besseren belehrte. Denn, so meinte Albrecht, ein Mann mit solchen Fähigkeiten wie Rudolfo müsse in seinem Inneren ein Organ besitzen, welches der übrigen Menschheit fehle oder dessen sich die übrige Menschheit nicht bewusst sei.
Und so gab er dem Medicus des Armenspitals – einem verknöcherten alten Mann mit Spinnenfingern, bei deren Anblick, so erzählte man sich in Mainz, schon manch beklagenswerter Patient seine leidende Seele ausgehaucht hatte – den Auftrag, den toten Seiltänzer zu obduzieren, also seine sterbliche Hülle an Stellen zu öffnen, an denen ein solches Organ verborgen sein könnte.
Der Grund für Albrechts unrechtmäßige Neugierde lag weniger in seinen eigenen Forscherdrang als im Glauben – nein, nicht an den Schöpfer, sondern an das einträgliche Geschäft, das mit dem Verkauf dieser Entdeckung verbunden sein würde. Und wenn Seine kurfürstliche Gnaden etwas brauchte, dann war es Geld, viel Geld.
Im Schutz der Dämmerung, noch vor der Frühmesse im Dom, begaben sich Albrecht und Kirchner zu Fuß zum Armenspital hinter der turmlosen Karmeliterkirche, wo sie Doktor Ridinger, der Medicus, erwartete.
Durch das heruntergekommene Gebäude wehte ein bestialischer Gestank, der in seiner Heftigkeit sogar den Morgengestank in den Gassen übertraf, wenn die Mainzer ihr Nachtgeschirr durch die Fenster zur Straße hin entleerten. Um die fauligen Ausdünstungen zu überdecken, reichte Doktor Ridinger dem Kardinal und seinem Sekretär einen mit einer beißenden Flüssigkeit getränkten Lappen, den beide vor Mund und Nase pressten.
Er selbst, im Laufe der Jahre immun geworden gegen jede Art von Gerüchen, verzichtete auf derlei Hilfsmittel. Er vertrat die Ansicht, ein Gestank sei keineswegs in der Lage, einen anderen zu neutralisieren,
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