Die Frau des Seiltaenzers
nein, er könne ihn nur übertreffen und somit die Nase täuschen, wie auch das menschliche Ohr keine Geräusche töten könne, sondern nur von noch stärkerem Lärm getäuscht werde, was letztlich zur Taubheit führe. Genau das sei ihm mit dem Geruchssinn widerfahren.
Am Ende eines langen Ganges zu ebener Erde befand sich ein kahler Raum mit einem derben, hölzernen Tisch in der Mitte und einem weiteren an der Stirnwand, auf dem Sägen, Messer undallerlei Haken und Zangen herumlagen, auf die das flackernde Licht einer Wandfunzel fiel.
Für gewöhnlich öffnete der Medicus hier eiternde Geschwüre oder sägte vom Schwarzbrand gezeichnete Gliedmaßen ab. Hierher hatte ein Flussfischer in aller Heimlichkeit Rudolfos Leiche gebracht, auf einem zweirädrigen Handkarren unter Kisten von Mainfischen verborgen, deren Gestank den des toten Seiltänzers überdeckte.
Unter einem durch häufigen Gebrauch grau und knittrig gewordenen Tuch konnte man deutlich die Umrisse eines Menschen erkennen. Doktor Ridinger war vom Sekretär des Fürstbischofs über dessen Anliegen in Kenntnis gesetzt worden und hatte zunächst mit Ablehnung reagiert. Nach hohen Versprechungen und rüden Drohungen hatte er jedoch zugestimmt, doch sollte niemand von dem Frevel erfahren.
In der Geheimschrift eines rheinischen Nekromanten hatte Albrecht von Brandenburg gelesen, dass das Innere eines vom Teufel besessenen oder mit dem Teufel im Bunde stehenden Menschen schwarz sein solle wie die Pforten der Hölle, während unschuldige Kinder, von der Mutterbrust noch nicht entwöhnt, angeblich weiß wie Schnee waren.
Kirchner stieß einen Schrei des Entsetzens aus, als der Medicus das Tuch von der Leiche zog, denn der zu Tode gekommene Seiltänzer wies am ganzen Körper große schwarze Flecken auf, und sein eingetrocknetes Blut verhüllte sein zur Unkenntlichkeit deformiertes Gesicht wie eine schwarze Maske.
Seiner Sache keineswegs sicher, setzte Doktor Ridinger sein Messer über dem linken Brustkorb an und zog erst einen senkrechten, dann einen waagerechten Schnitt, sodass ein Kreuz entstand. Als er begann, die so entstandenen dreieckigen Lappen mit einem Haken zur Seite zu ziehen, rebellierten die Innereien Seiner kurfürstlichen Gnaden, und er erbrach das Mahl des Vorabends mit einem heftigen Strahl, der auch den Purpur seiner Soutane in Mitleidenschaft zog.
Ungeachtet dessen setzte der Medicus sein grauenvolles Werk fort und knackte mit einer Zange zwei Rippen. Auf diese Weise stieß er bis zum Herzen vor, welches weder von schwarzer Farbe war noch, soweit Ridinger das feststellen konnte, irgendwelche Besonderheiten aufwies. Dann wandte sich der Medicus dem Unterleib zu und ging ebenso zu Werke wie bei dem Brustkorb.
Längst hatte der Fürstbischof seine Neugierde bereut und sich, um weiteres Ungemach zu vermeiden, abgewandt, da rief Kirchner nach seinem Herrn, er möge einen Blick auf die Leistenbeuge des toten Seiltänzers werfen.
Überzeugt, im Unterleib des Großen Rudolfo sei pechschwarzes Gekröse zum Vorschein gekommen, überwand der Kardinal seinen Brechreiz und trat hinzu, den Blick auf den geöffneten Bauch gerichtet. Angewidert wollte Albrecht seine Enttäuschung zum Ausdruck bringen, weil Magen und Gedärm keineswegs so aussahen wie ein verkohlter Höllenschlund, da deutete Kirchner mit gestrecktem Zeigefinger auf die seltsame Tätowierung am unteren Rumpf des Seiltänzers, eine Schlange, deren Schwanz sich zu drei Enden spaltete, nicht unähnlich dem Geäst bläulicher Adern unter der Haut. Bei näherem Hinsehen waren sogar neun Buchstaben zu erkennen: HIC IAC COD.
Auf die Frage des Kardinals, welche Bedeutung den durchscheinenden Adern und den rätselhaften Buchstaben zukomme, hob der Medicus die Schultern und erwiderte, es handle sich hierbei nicht um Adern, die durch die Haut scheinen, sondern um eine Tätowierung, wie sie bei den Naturvölkern gebräuchlich sei und seit der Entdeckung der Neuen Welt auch in den hiesigen Breiten immer mehr Anhänger finde.
Auch Kirchner, dem Albrecht einen fragenden Blick zuwarf, fand keine rechte Antwort, es sei denn jene, dass die Schlange neben dem Adler und dem Löwen das symbolträchtigste Tier sei und daher alles oder nichts bedeuten könne.
All das schien den Medicus weniger zu interessieren.Unbeeindruckt setzte er seine unappetitliche Arbeit fort, wühlte im Gedärm des Seiltänzers, zog Leber und Galle hervor und suchte vergeblich nach einem weiteren Organ, dem man die Fähigkeit hätte
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