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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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zuschreiben können, einen Menschen in die Lage zu versetzen, das Gleichgewicht auf einem Seil zu halten wie ein Vogel. Fündig wurde er nicht, und schließlich stopfte Doktor Ridinger die Innereien zurück in die Bauchhöhle, aus der er sie rüde hervorgezogen hatte.
    Zweifellos hatte sich auch der Medicus mehr erwartet, und so nahm er Hammer und Meißel und setzte das Werkzeug an der Nasenwurzel der Leiche an, um mit einem kräftigen Schlag die Hirnschale zu spalten.
    Im letzten Augenblick konnte Albrecht ihn davon abhalten, indem er seinen ausholenden Arm samt Hammer festhielt und eindringlich, beinahe flehentlich forderte, er solle seine Arbeit sofort einstellen. Seinem Sekretär Joachim Kirchner gab er den Auftrag, dafür zu sorgen, dass die Leiche des Großen Rudolfo in einen Zinksarg verlötet und auf dem Leichhof von Mainz einen Ehrenplatz finden solle.
    Bevor Kirchner dem Auftrag nachkam, notierte er den Buchstaben-Code, den der Seiltänzer auf der Haut trug, in seinem Tagebuch, das er heimlich in seiner Kammer aufbewahrte.

14. KAPITEL
    E rschrocken fuhr Magdalena aus dem Schlaf hoch. Der Schein einer Laterne beleuchtete dicht vor ihren Augen das derbe Gesicht eines Mannes. Sie wollte schreien. Aber der Fremde presste ihr die Hand auf den Mund.
    »Keine Angst, Euch soll nichts geschehen«, stieß er mit rauer Stimme hervor.
    Magdalena dachte an Flucht, aber als sie zur Türe blickte, bemerkte sie einen zweiten Mann im Gauklerwagen. Er war gerade damit beschäftigt, Kleider und alles, was er für wichtig hielt, in einem Bündel zu verstauen. Dabei machte er allerdings nicht den Eindruck eines gemeinen Räubers.
    »Was soll das?«, erkundigte sich Magdalena, nachdem sie sich vom ersten Schreck erholt hatte.
    Der Mann vor ihrem Lager antwortete ruhig: »Wir wollen nur Euer Bestes und bringen Euch an einem geheimen Ort in Sicherheit. Folgt unseren Anweisungen, dann soll Euch kein Haar gekrümmt werden.«
    Aufgebracht fiel ihm Magdalena ins Wort: »Dummes Gerede! Wenn Ihr es gut mit mir meint, warum überfallt Ihr mich zu nachtschlafender Zeit?«
    Der Mann überging ihre Frage und sagte mit gespielter Gelassenheit: »Kleidet Euch an und kommt!«
    Unwillig kam sie der Aufforderung nach, und die beiden Männer drängten Magdalena ins Freie. Untergehakt, damit sie nichtfliehen konnte, und ohne weitere Erklärung hasteten sie so ein Stück des Weges durch die schlafende Stadt bis zum sandigen Uferweg. Dort wartete ein Planwagen, mit zwei Pferden bespannt. Magdalena ahnte nichts Gutes.
    Der eine der beiden Männer warf das Bündel, das er im Gauklerwagen geschnürt hatte, hinten auf den Wagen, während der andere sie aufforderte, vorne aufzusteigen.
    »Und wenn ich mich weigere?« Ein letztes Mal versuchte Magdalena Stärke zu zeigen. In Wahrheit saß ihr die Angst im Nacken.
    Da trat der Unbekannte vor sie hin und verschränkte die Arme, als wolle er sagen: Das würde ich dir nicht raten! Schließlich schwang sie sich auf den Kutschbock und kletterte von dort in das Innere des Planwagens.
    »Ich hoffe, die Kerle sind nicht allzu rüde mit dir umgegangen«, vernahm sie eine Stimme, die ihr bekannt vorkam.
    »Bist du –?«
    »Matthäus Schwarz!«
    »Der mich in seine Dienste nehmen will«, bemerkte Magdalena mit bitterem Unterton. »Ehrlich gesagt habe ich mir das etwas anders vorgestellt.«
    »Das glaube ich dir gerne. Doch musst du wissen, das alles hat nichts mit meinem Angebot zu tun. Du verkennst die Lage: Die Inquisition ist hinter dir her. Drei Dominikaner sind auf dem Weg von Frankfurt nach Mainz. Sie werden noch heute hier eintreffen. Ich hoffe, du weißt, was das bedeutet!«
    Magdalena schluckte, sie brachte kein Wort hervor.
    »Deine Vorführung auf dem Seil«, fuhr Schwarz fort, »hat große Aufregung verursacht, vor allem unter den Domherren. Sie wollen nicht glauben, dass ein gottgefälliges Weib zu so etwas fähig ist. Sie halten dich für eine Hexe.«
    »Und nun? Was hast du mit mir vor?«, fragte Magdalena zögerlich. »Oder machst du gar mit den Domherren gemeinsame Sache?«
    Matthäus Schwarz schüttelte den Kopf und schwieg. Nach einer Weile meinte er, ohne Magdalena anzusehen: »Warum bist du so misstrauisch mir gegenüber? Habe ich dir je Anlass dazu gegeben?«
    »Nein, gewiss nicht. Verzeih, wenn ich dich beleidigt habe. Aber willst du mir nicht sagen, was du vorhast?«
    Der Abgesandte des Fuggers beugte sich nach vorne, wo die beiden Knechte auf dem Kutschbock Platz genommen hatten, und sagte:

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