Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)
hinunterzuwerfen.
König Jan Bockelson hatte sich also von jedem unnötigen Ballast getrennt. Wahrscheinlich hatte der Täuferkönig entschieden, nur die wehrfähigen Männer und Frauen in der Stadt zu belassen. Die Schwachen hingegen wurden vor die Tore geschickt und ihrem Schicksal überlassen. Nun krochen diese bemitleidenswerten Gestalten wie Gespenster über die Erde, denn die Tore Münsters blieben ihnen verschlossen, und auch die Bischöflichen gewährten ihnen nicht die Gnade, das Niemandsland zu verlassen.
Wir blieben mehrere Tage im Lager und bereiteten uns schon auf den Aufbruch vor, als in der Nacht zu Johanni die Stadt der Täufer überraschend von den Bischöflichen überrannt wurde. Wie ich später erfuhr, war Wochen zuvor ein Schreiner namens Gresbeck aus Münster geflohen und hatte einem Hauptmann der Bischöflichen das Angebot unterbreitet, ihm jede Einzelheit über die Verteidigungswerke Münsters zu verraten. An einem aus Erde gefertigtenModell der Stadt wurde so eine Strategie entworfen, und in der Johannisnacht, in der ein widriger Gewittersturm losbrach, gelang es einem Dutzend Männern den Wassergraben zu überwinden und die Wachen am Kreuztor auszuschalten. Mit Gresbecks Hilfe fiel es den Soldaten nicht schwer, die Torwächter zu täuschen und zu überrumpeln. Diesen ersten Männern waren an die fünfhundert Landsknechte gefolgt, die in erbitterte Kämpfe mit den Täufern verwickelt wurden. Einigen dieser Söldner gelang es, sich bis zum Jüdefeldertor durchzuschlagen und die Pforte zu öffnen. Nun stürmten mehrere tausend Landsknechte in die Stadt, und über die Täufer brach ein blutiges Strafgericht herein.
Als wir erfuhren, dass Münster gefallen war, warteten wir zunächst ab. Reynold juckte es in den Fingern, sich den Plünderern anzuschließen, doch ich hielt ihn zurück. Die Landsknechte hatten so lange auf diesen Moment gewartet, dass sie wie im Rausch durch die Straßen Münsters streiften. Wie schnell konnte es da geschehen, dass jemand von uns in den Verdacht geriet, den Täufern anzugehören, und in blinder Wut von dem Schwert eines Landsknechtes niedergestreckt werden würde.
Das Gemetzel und die Plünderungen dauerten zwei Tage an. Erst dann betraten wir die Stadt. Es war ein seltsames Gefühl, so unbehelligt durch das Tor zuspazieren. Zu lange war dieser Wall für uns ein unüberwindliches Hindernis gewesen.
In der Stadt hatte der aufgestaute Zorn der Landsknechte den erwartet blutigen Tribut gefordert. In vielen Straßen waren Leichenhaufen aufgeschichtet worden. Auf ihrer Suche nach Wertgegenständen hatten die Plünderer sämtliches Mobiliar aus den Häusern herausgerissen und es auf die Straße geworfen. Kinder liefen weinend und schreiend herum, und an manchen Orten wurden kleine Gruppen der überlebenden Täufer gefangen gehalten.
Unweit des Domplatzes entdeckten wir am Ufer der Aa die Leiche des Scharfrichters Nilan. Ich erinnerte mich an den Moment, als dieser Mann das Schwert über meinen Kopf erhoben hatte, und in gewisser Weise glaubte ich mich nun von den Alpträumen befreit, die mich noch immer in manchen Nächten heimgesucht hatten.
Kurz darauf machte ich unter den Toten auch den Prädikanten Ollrich aus. Seine Nase war während des Kampfes unversehrt geblieben. Doch stattdessen hatte man ihm den Bauch aufgeschlitzt, und sein Gedärm hatte sich über die schmutzige Straße ergossen.
Wir begaben uns zum Haus von Anton Kribbe mit der vagen Hoffnung, den alten Mann dort womöglich noch lebend anzutreffen. Doch das Haus war verlassenund die gesamte Einrichtung zerschlagen. Ob das während der Plünderungen geschehen war oder bereits zuvor, erfuhren wir nicht. Auch von Kribbe fand sich, trotz einer angestrengten Suche, keine Spur mehr.
Später erfuhr ich davon, dass König Jan Bockelson sich während des Gemetzels in einem Haus am Aegidiitor versteckt gehalten hatte. Er hatte wohl bis zuletzt gehofft, in den Wirren der Kriegshandlungen entkommen zu können, doch dann wurde er von einem Kind verraten und von den Landsknechten festgenommen.
Man verhörte und folterte Bockelson über Wochen und Monate. Sein gesamtes Leben musste er vor der Inquisition ausbreiten, und gegen klingende Münze ließ man ihn in seinem Gefängnis von der Öffentlichkeit begaffen. Der Bischof wollte mit diesem Geld wohl einen Teil der während der Belagerung entstandenen Kosten ausgleichen.
Die Hinrichtung Jan Bockelsons erfolgte am 22. Januar 1536 vor dem Rathaus in Münster. Es
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