Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)
oder umgehend die Stadt zu verlassen. An die zweitausend sollen damals gegangen sein, darunter auch mein Sohn Melchior. Aber ich bin alt und, wie man mir nachsagt, auch äußerst stur. Ich bleibe, und wenn die Sektierer mich eines Tages aus diesem Haus zerren und mich öffentlich hinrichten, dann weiß ich, dass der Herr mich als einen standhaften Katholiken mit offenen Armen empfangen wird.« Kribbegrinste böse. »Einen gewissen Frieden verschafft es mir, dass dieser Hundsfott Jan Matthys schon vor Wochen in die Hölle geschickt wurde. Er hat eine große Rede geführt und behauptet, er wäre der neue Henoch, der Sendbote Gottes. Wahrscheinlich hat er sogar an diesen Unsinn geglaubt, denn am Ostertag wollte er ein Zeichen des Allmächtigen erzwingen, indem er mit einer Handvoll Männer durch das Ludgeritor ritt und die Landsknechte des Bischofs herausforderte. Er hatte getönt, er hätte nichts zu befürchten, denn der Herr würde ihn schützen und die Gottlosen vernichten, die sich ihm entgegenstellten.«
Reynold gab ein zischendes Lachen von sich. »Ich ahne, was dann geschehen ist.«
»Es endete in einem blutigen Gemetzel«, sagte Kribbe. »Matthys und seine Gefolgsleute wurden von den Bischöflichen abgeschlachtet. Ich habe es mir von einem Mann berichten lassen, der alles von den Zinnen der Stadtmauern beobachtet hat. Er erzählte mir, dass die Soldaten den Körper des Matthys in hundert Stücke zerhackt und sich feixend mit den Leichenteilen beworfen hätten. Sein Kopf wurde auf einen Pfahl gespießt und, begleitet von Schmährufen, vor dem Tor herumgetragen.«
»Hat denn daraufhin niemand daran gezweifelt, dass die Täufer in der Gunst Gottes stehen?«, wollteJasmin wissen. »Ich meine, dieser Fehlschlag hat Matthys doch als Blender enttarnt.«
»Und das war er natürlich auch«, entgegnete Kribbe. »Doch inzwischen hielten sich in Münster überwiegend fanatische Anhänger der Täuferbewegung auf. Hunderte, ja Tausende waren aus Friesland und aus den Niederlanden nach Münster gekommen, um in diesem Neuen Jerusalem auf das Jüngste Gericht zu warten. Zudem trat aus dem Schatten des Matthys sofort darauf ein neuer Wortführer hervor: Jan Bockelson aus Leyden. Der versteht es ebenso, die Menschen mit düsteren Offenbarungen in seinen Bann zu ziehen. Ich hörte davon, dass er nach Matthys’ Tod behauptete, dieser habe Gott gelästert, indem er sich selbst überschätzt habe, und dass der Allmächtige Jan Matthys aus diesem Grund habe scheitern lassen. Er selbst, so behauptete Bockelson, habe dies in einer Vision mitgeteilt bekommen, schon bevor Matthys gegen die Bischöflichen geritten sei.«
»Dieser Jan Bockelson ist also ebenfalls ein Prophet?«, fragte ich.
Kribbe zischte abfällig. »In dieser Stadt gibt es mittlerweile mehr Propheten als streunende Hunde. Aber man muss es Bockelson zugestehen, dass er wohl ein Talent für die militärische Organisation besitzt. Wie anders hätten die Täufer den Sturmangriffeines zahlenmäßig weit überlegenen Heeres abwehren können?«
»Ist es wahr, dass Bockelson den Männern erlaubt hat, so viele Frauen zu heiraten, wie sie wollen?«, fragte Cort.
»Das ist richtig«, sagte der Alte. »Und er selbst hat ihnen ein Beispiel gegeben und mit sechzehn Frauen die Ehe geschlossen.«
Reynold griente. »Ganz dumm scheint er also nicht zu sein, wenn man sieht, wie viele Weiber sich auf der Straße herumtreiben.«
»Damit verfolgt er einen praktischen Zweck«, sagte Kribbe. Er starrte Reynold mit ernster Miene an. »Jemand wie du malt sich womöglich wollüstige Orgien aus, die diese Männer mit ihren drei, vier oder mehr Eheweibern feiern, aber das ist ein Trugschluss. Nachdem die Münsteraner Katholiken und Lutheraner gezwungen worden waren, die erneute Taufe zu empfangen oder die Stadt zu verlassen, ließen viele Männer ihre Frauen zurück, damit die auf die Häuser und den Besitz achtgeben sollten. Viele Keller waren mit Vorräten gefüllt, und da die Bibel es den Täufern verbietet, einen Raub zu begehen, wurden die Frauen dazu genötigt, sich mit den Sektierern zu verheiraten. Damit ging ihr Besitz auf den Ehemann über, und die Täufer konnten den gelagerten Proviant einer gemeinschaftlichen Verwaltung übergeben.«
Der Alte kratzte sein Kinn. »Soviel zu den Täufern. Aber wer seid ihr?« Er blickte jedem von uns ins Gesicht. »Ich rede, bis mir die Zunge lahm wird, und weiß doch nichts über euch. Warum in Gottes Namen seid ihr in diese Stadt gekommen,
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