Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)
machten uns auf den Weg und schlossen uns den Männern, Frauen und Kindern an, die aus allen Straßen zusammenliefen und zum Domplatz strömten, wo sich bereits der Großteil der Täufergemeinde versammelt hatte.
In der Mitte des Platzes waren auf einem hölzernen Podest an die zwanzig Männer zusammengekommen, die zu den Umstehenden sprachen. Wir drängten uns bis in die vorderen Reihen, von wo aus wir alles gut verfolgen, uns aber auch hinter den Köpfen der vor uns Stehenden verbergen konnten. Immerhin war es nicht ausgeschlossen, dass auch der Prädikant Ollrich diese Bühne betrat.
Die meisten der Männer, die allesamt in den Gewändern der Prediger gekleidet waren, verließen nun das Podest. Nur zwei von ihnen blieben auf der Plattform. Der eine ging dort umher und schwenkte die Arme, um das lautstarke Schwatzen der versammelten Menge verstummen zu lassen. Er schwitzte, wirkteunsicher und machte auf mich einen eher einfältigen Eindruck. Zudem zog er humpelnd einen Klumpfuß hinter sich her.
Der andere Mann stellte das genaue Gegenteil dar. Er mochte in meinem Alter sein, trug die Kleidung eines Prädikanten, und aus seinem von einem kurzgeschorenen Bart umrahmten Gesicht stachen zwei hellblaue Augen hervor, die er mit der Ruhe und Autorität eines erfahrenen Strategen auf die Menge richtete.
»Ist das Bockelson?«, raunte ich Cort zu.
»Wahrscheinlich«, meinte er. »Aber wer ist der Humpelnde?«
Ein junger Bursche, der uns gehört haben musste, drehte sich zu uns um und flüsterte: »Das ist Johann Dusentschur, der Goldschmied aus Warendorf, dem die Stimme des Herrn vor einigen Wochen mitgeteilt hat, dass Jan Bockelson uns anführen soll.«
»Soso«, sagte ich. »Dann werden wir nun gewiss mehr von Gottes Plänen erfahren.«
Auf dem Podest klatschte Jan Bockelson dreimal laut in die Hände, und das Gemurmel der Menschen klang umgehend ab, bis es fast still war auf dem weitläufigen Platz.
Wer war dieser Jan Bockelson, der sich zum Wortführer der Täufergemeinde erhoben hatte? Damals wusste ich nicht viel über diesen Mann, doch in spätererZeit wurde oft über den selbsternannten Propheten gesprochen, und nach allem, was mir in den Jahren zu Ohren gekommen ist, möchte ich kurz darüber berichten, welcher Weg Jan Bockelson nach Münster geführt hatte.
Der spätere Prophet wurde als Bankert einer Magd geboren, die von ihrem Herrn geschwängert worden war. Er erlernte den Schneiderberuf, doch schon bald zog es ihn in die Welt hinaus. Mehrere Jahre lebte Bockelson in London, reiste nach Portugal, kehrte dann aber doch in seine Heimat zurück und heiratete dort die Witwe eines Flussschiffers, die eine Schankwirtschaft betrieb. Bockelson beschränkte sich nicht darauf, seinen Lebensunterhalt als Wirt zu verdienen, sondern ließ in der Schenke eine Bühne errichten und führte dort biblische Szenen auf, die er mit seinem ausgeprägten Hang zu dramatischen Darstellungen vortrug. Angeblich soll es ihm schon damals mühelos gelungen sein, die Zuhörer in seinen Bann zu schlagen.
Bald darauf kam Bockelson mit den Täufern in Kontakt. Er begeisterte sich für ihre Überzeugungen, und nachdem er von dem Propheten Jan Matthys die Erwachsenentaufe empfangen hatte, folgte er diesem nach Münster, wo er mit flammenden Predigten und düsteren Prophezeiungen daran mitwirkte, die Täuferherrschaft in der Stadt zu festigen. Seine Entschlossenheitund Überzeugungskraft ließ ihn nach Matthys’ Tod auf dessen Platz rücken.
Doch erst an diesem Tag im September des Jahres 1534 wurde deutlich, dass Jan Bockelson nicht nur die Nachfolge seines Mentors Matthys angetreten hatte, denn er ließ den humpelnden Goldschmied verkünden, dass Gott ihn zu weitaus Höherem erkoren hatte.
Dusentschur stotterte zunächst ein wenig herum, sprach die ersten Worte recht leise, bemerkte dann aber wohl seinen Fehler und rief mit kräftigerer Stimme aus: »Der Herr hat sich mir offenbart. Vor meinen Augen tauchte ein gleißendes Licht auf, und die Stimme Gottes teilte mir mit, dass Jan Bockelson aus Leyden unser König sein soll. Er wird über alle Gewalten der Erde herrschen und über allen Obrigkeiten stehen, doch keine über ihm.« Der Goldschmied räusperte sich und richtete seine Hand auf Bockelson. »Er soll das Zepter und den Stuhl Davids einnehmen, bis der Herr das Reich von ihm zurückfordern wird.« Dusentschur ließ sich von einem der Prädikanten einen polierten Bihänder reichen und trat damit auf Jan Bockelson zu.
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