Die Frau des Zeitreisenden
Marmorsimsen, schön geschnitzte Holzarbeiten. »Bitte«, setze ich schmeichelnd an. »Es ist unglaublich!«
»Ja, unglaublich ist das richtige Wort. In diesem Ding würde man uns einmal pro Woche vergewaltigen und ausplündern. Außerdem bräuchte es eine Generalüberholung, sprich Elektrik, Rohrleitungen, neue Heizung, wahrscheinlich ein neues Dach. Wirklich nicht.« Seine Stimme klingt entschieden, es ist die Stimme eines Mannes, der die Zukunft gesehen hat und nicht beabsichtigt, sie zu manipulieren. Danach bin ich ein paar Tage beleidigt. Henry führt mich zum Sushi-Essen aus.
»Tchotka. Amorta. Herzallerliebste. Sprich mit mir.«
»Ich spreche nicht mit dir.«
»Ich weiß. Aber du schmollst. Und mir wäre lieber, du würdest nicht mit mir schmollen, nur weil ich gesunden Menschenverstand bewiesen habe.«
Die Kellnerin kommt und wir konsultieren schnell die Speisekarte. Ich möchte mich im Katsu, meinem liebsten Sushi-Restaurant, in dem wir oft essen, nicht streiten. Genau darauf setzt Henry vermutlich, er will mich beschwichtigen, ganz abgesehen von dem grundsätzlichen Glück, das ein Sushi-Essen bietet. Wir bestellen Gomaae, Hijiki, Futomaki, Kappamaki und ein beachtliches Aufgebot an rohen Sachen auf Reisrechtecken. Kiko, die Bedienung, verschwindet mit unserer Bestellung.
»Ich bin nicht böse auf dich.« Das ist nicht ganz wahr.
Henry hebt eine Braue. »Okay. Gut. Was ist dann los?«
»Bist du absolut sicher, dass du unser Haus schon gesehen hast? Und wenn du dich irrst und wir etwas richtig Schönes ablehnen, nur weil die Aussicht auf den Garten nicht stimmt?«
»In diesem Haus waren jede Menge Sachen von uns, es kann nur unseres gewesen sein. Ich gebe zu, dass es vielleicht nicht unser erstes Haus war - ich war nicht nah genug dran und konnte nicht sehen, wie alt du warst. Ich fand dich ziemlich jung, aber vielleicht hast du dich nur gut gehalten. Trotzdem, ich schwöre dir, es ist wirklich schön, und wäre es nicht toll, ein Atelier im Garten zu haben?«
»Ja, das schon.« Ich seufze. »Mein Gott, ich wünschte, du könntest deine Ausflüge manchmal auf Video aufzeichnen. Ich würde dieses Haus unheimlich gern sehen. Hättest du dir nicht die Adresse merken können, als du da warst?«
»Tut mir Leid. War nur ein Quickie.«
Manchmal würde ich alles dafür geben, wenn ich Henrys Kopf öffnen und mir seine Erinnerungen ansehen könnte wie einen Kinofilm. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal einen Computer benutzt habe. Ich war vierzehn und Mark wollte mir beibringen, auf seinem Macintosh zu zeichnen. Nach ungefähr zehn Minuten hätte ich am liebsten mit den Händen durch den Schirm gegriffen, um an die wahre Sache im Innern heranzukommen, was sie auch sein mochte. Ich mag es gern direkt, ich will Stoffe fühlen, Farben sehen. Die Hausbesichtigungen mit Henry machen mich verrückt. Es ist, als würde man eins dieser schrecklichen ferngesteuerten Spielzeugautos lenken. Ich lasse sie immer gegen Wände fahren. Absichtlich.
»Henry. Hättest du was dagegen, wenn ich eine Weile allein auf Haussuche gehe?«
»Nein, warum nicht.« Er wirkt leicht gekränkt. »Wenn du unbedingt willst.«
»Am Ende landen wir ja doch in dem Haus, oder? Es ändert also nichts.«
»Stimmt. Klar, mach dir meinetwegen keine Gedanken. Aber fall bitte nicht noch mal auf so ein grässliches Loch rein, okay?«
Ungefähr einen Monat und zwanzig Häuser später finde ich es schließlich. Es liegt an der Ainslie in Lincoln Square, ein roter Backstein-Bungalow aus dem Jahr 1926. Carol holt den passenden Haustürschlüssel heraus und kämpft mit dem Schloss. Als die Tür aufgeht, verspüre ich das überwältigende Gefühl von etwas Stimmigem. Ich gehe direkt durch die Wohnung zum hinteren Fenster und blicke hinaus in den Garten: Vor mir liegt mein künftiges Atelier, und da ist die Laube. Als ich mich umdrehe, sieht Carol mich fragend an, und ich sage: »Wir kaufen es.«
Sie ist ziemlich überrascht. »Wollen Sie sich nicht erst den Rest ansehen? Was ist mit Ihrem Mann?«
»Oh, der hat es schon gesehen. Aber klar, natürlich, besichtigen wir das Haus.«
Samstag, 9. Juli 1994 (Henry ist31, Clare 23)
Henry: Heute sind wir umgezogen. Es war den ganzen Tag heiß. Als die Möbelpacker heute Morgen die Treppe zu unserer Wohnung hochkamen, klebte ihnen das Hemd auf der Haut, aber sie lächelten, weil sie dachten, eine Vierzimmerwohnung sei keine große Sache und sie wären noch vor der Mittagszeit fertig. Das Lächeln
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