Die Frau des Zeitreisenden
nickt. »Wenn sie älter werden, bleiben sie länger weg.«
»Ja, bisher war das so.«
»Wie ist Ihnen das gelungen?«, frage ich Kendrick. Ich kann noch immer nicht so recht fassen, dass es ihm überhaupt gelungen ist.
Kendrick bläst auf seinen Kaffee und trinkt einen Schluck, verzieht das Gesicht. Der Kaffee schmeckt bitter, ich gebe Zucker in meinen. »Nun«, sagt er, »dass Celera das gesamte Mausgenom sequenziert hat, war sehr hilfreich. Dadurch wussten wir, wo wir die vier Gene finden, auf die wir es abgesehen hatten. Aber wir hätten es auch ohne das geschafft.
Zuerst haben wir Ihre Gene geklont und dann mit Hilfe von Enzymen die beschädigten DNA-Fragmente herausgeschnippelt. Diese Fragmente wurden dann auf Mausembryonen im Vierzellteilungsstadium übertragen. Das war der leichte Teil.«
Henry hebt die Brauen. »Klar, natürlich. Clare und ich machen das ständig in unserer Küche. Und was war der schwierige Teil?« Er setzt sich auf den Tisch, stellt den Kaffee neben sich ab. Im Käfig höre ich das Laufrad quietschen.
Kendrick sieht mich an. »Der schwierige Teil bestand darin, die Muttermäuse zum Austragen der manipulierten Embryonen zu bringen. Sie starben uns ständig weg, bluteten sich zu Tode.«
Henry sieht sehr besorgt aus. »Die Mütter sind gestorben?«
Kendrick nickt. »Die Mütter sind gestorben, und ihre Jungen auch. Wir wussten nicht wieso, bis wir anfingen, sie rund um die Uhr zu beobachten, dann sahen wir, was vor sich ging. Die Embryonen verließen den Bauch der Muttermaus, kehrten dann wieder in ihn zurück, aber die Mutter verblutete innerlich. Oder sie hatte nach zehn Tagen eine Fehlgeburt. Es war sehr frustrierend.«
Henry und ich wechseln Blicke, dann sehen wir woandershin. »Das können wir nachvollziehen«, sage ich zu Kendrick.
»Jaa-wohl«, sagt er. »Aber wir haben das Problem gelöst.«
»Und wie?«, fragt Henry.
»Wir haben überlegt, dass es eine Immunreaktion sein könnte. Etwas an der fetalen Maus war so fremd, dass das Immunsystem der Muttermaus sie wie ein Virus oder dergleichen zu bekämpfen versucht hat. Also haben wir das Immunsystem der Muttermaus unterdrückt, und alles lief wie von Zauberhand.«
Mein Herz pocht bis in die Ohren. Wie von Zauberhand.
Kendrick bückt sich unvermittelt und greift nach etwas auf dem Boden. »Erwischt«, sagt er und zeigt uns die Maus in seinen gewölbten Händen.
»Bravo!«, sagt Henry. »Und was kommt als Nächstes?«
»Gentherapie«, antwortet Kendrick. »Medikamente.« Er zuckt die Achseln. »Wir können dafür sorgen, dass es passiert, aber wir wissen immer noch nicht, warum es passiert. Oder wie. Und das versuchen wir jetzt herauszufinden.« Er hält Henry die Maus hin. Henry wölbt die Hände, und Kendrick kippt die Maus hinein. Henry begutachtet sie neugierig.
»Sie hat ein Tattoo«, sagt er.
»Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir sie im Auge behalten können«, erklärt Kendrick. »Sie treiben die Techniker im Tierlabor in den Wahnsinn, weil sie dauernd ausreißen.«
Henry lacht. »Das ist unser darwinistischer Vorteil«, sagt er. »Wir reißen aus.« Er streichelt die Maus, und sie scheißt ihm auf die Hand.
»Null Stresstoleranz«, sagt Kendrick. Er setzt die Maus in den Käfig zurück, wo sie in die Toilettenpapierrolle flieht.
Zu Hause rufe ich sofort Dr. Montague an, plappere von Immunsuppressiva und innerer Blutung. Sie hört aufmerksam zu und bittet mich dann, nächste Woche vorbeizukommen, in der Zwischenzeit will sie recherchieren. Als ich auflege, betrachtet Henry mich nervös über den Wirtschaftsteil der Times hinweg. »Einen Versuch ist es wert«, sage ich.
»Es gab viele tote Mäusemütter, bis sie es herausgefunden hatten«, sagt Henry.
»Aber es hat funktioniert! Kendrick hat es vollbracht!«
Henry sagt nur: »Klar«, und liest wieder weiter. Ich will noch etwas sagen, überlege es mir dann anders und gehe hinüber ins Atelier, viel zu aufgeregt, um zu streiten. Es lief wie von Zauberhand. Wie von Zauberhand.
FÜNF
Donnerstag, 11. Mai 2000 (Henry ist 39, Clare 28)
Henry: Ich gehe die Clark Street entlang, es ist Spätfrühling 2000. Daran ist im Grunde nichts Bemerkenswertes. Es ist ein schöner warmer Abend in Andersonville, und die modische Jugend sitzt an kleinen Tischen im Kopi und trinkt aufgemotzten kalten Kaffee, oder sitzt an mittelgroßen Tischen bei Reza und isst Couscous, oder schlendert einfach umher, ignoriert die schwedischen Nippesläden und ereifert sich über den
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