Die Frau des Zeitreisenden
gegen den Pier schwappen. Keine Chance. Nach ein paar Tagen würde ich auf den Knien kriechen.
Mir tut der Kopf weh. Ich versuche es zu ignorieren; ich weiß, es liegt an meiner Müdigkeit. Ich überlege, ob ich am Strand schlafen könnte, ohne von jemandem behelligt zu werden. Es ist eine wunderschöne Nacht. Genau in diesem Moment erschreckt mich ein gewaltiger Lichtstrahl, der über den Pier und in mein Gesicht schwenkt und plötzlich bin ich in Kimys Küche, liege unter ihrem Küchentisch auf dem Rücken, umgeben von Stuhlbeinen. Kimy sitzt auf einem der Stühle und späht zu mir herunter. Meine linke Hüfte drückt gegen ihre Schuhe.
»Hallo, Kumpel«, sage ich schwach. Mir ist, als wenn ich gleich ohnmächtig werde.
»Wegen dir krieg ich demnächst noch einen Herzschlag, Kumpel«, sagt Kimy. Sie knufft mich mit dem Fuß. »Komm raus da unten und zieh dir was über.«
Ich drehe mich um und komme rückwärts auf den Knien unterm Tisch hervor. Dann rolle ich mich auf dem Linoleumboden ein und ruhe einen Augenblick aus, reiße mich zusammen und versuche nicht zu würgen.
»Henry ... alles in Ordnung?« Sie beugt sich über mich. »Willst du etwas essen? Willst du ein bisschen Suppe? Ich hab eine Minestrone... Kaffee?« Ich schüttle den Kopf. »Willst du dich auf die Couch legen? Bist du krank?«
»Nein, Kimy, keine Sorge, es geht schon.« Mühsam schaffe ich es auf die Knie und dann auf die Füße. Ich wanke ins Schlafzimmer und öffne Mr Kims Schrank, der fast leer ist, bis auf ein paar ordentlich gebügelte Jeans in verschiedenen Größen, die von kleinen Jungen bis zu Erwachsenen reichen, und mehrere steife weiße Hemden, mein kleines geheimes Kleiderlager, bereit und erwartungsvoll. Angezogen gehe ich in die Küche zurück, beuge mich über Kimy und gebe ihr ein Küsschen auf die Wange. »Den wievielten haben wir heute?«
»Den 8. September 1998. Woher kommst du?«
»Aus dem nächsten Juli.« Wir setzen uns an den Tisch. Kimy löst gerade das Kreuzworträtsel in der New York Times.
»Was läuft so im nächsten Juli?«
»Es war ein sehr kühler Sommer, aber dein Garten ist schön. Die Technik-Aktien sind alle oben. Im Januar solltest du Apple-Aktien kaufen.«
Sie notiert es sich auf einem Stück von einer braunen Papiertüte. »Gut. Und du? Wie geht es dir? Was macht Clare? Habt ihr schon ein Kind?«
»Um ehrlich zu sein, ich hab Hunger. Hattest du nicht was von einer Suppe gesagt?«
Kimy erhebt sich schwerfällig von ihrem Stuhl und öffnet den Kühlschrank. Sie holt einen Kochtopf heraus und wärmt die Suppe auf. »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Nichts Neues, Kimy. Kein Kind. Clare und ich streiten deswegen so gut wie ununterbrochen. Bitte fang du jetzt nicht auch noch an.«
Kimy steht mit dem Rücken zu mir, sie rührt energisch die Suppe. Ihr Rücken strahlt Ärger aus. »Ich >fang jetzt nicht auch noch an<. Ich frag doch nur, oder? Interessiert mich eben. Tz.«
Wir schweigen eine Weile. Das Kratzen des Löffels auf dem Topfboden nervt mich. Ich denke an Clare, wie sie aus dem Fenster schaute, als ich wegfuhr.
»Hey, Kimy.«
»Hey, Henry.«
»Wieso hattet ihr eigentlich keine Kinder?«
Langes Schweigen. Dann: »Wir hatten ein Kind.«
»Ach ja?«
Sie gießt die Suppe in eine der Mickey-Maus-Schalen, die ich als Kind so geliebt habe. Dann setzt sie sich und fährt sich mit den Händen übers Haar, streicht die weißen unordentlichen Strähnen hinten in den kleinen Knoten. Kimy sieht mich an. »Iss deine Suppe. Bin gleich wieder da.« Sie steht auf, geht zur Küche hinaus und schlurft über den Plastikläufer, der den Teppich im Flur bedeckt. Ich fange mit der Suppe an. Als Kimy wiederkommt, bin ich fast fertig.
»Hier. Das ist Min. Mein Kind.« Sie zeigt mir ein veschwommenes Schwarzweißfoto, auf dem ein kleines Mädchen, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, vor Mrs Kims Haus steht, diesem Haus, dem Haus, in dem ich groß wurde. Sie trägt eine katholische Schuluniform, lächelt und hält einen Schirm. »Ihr erster Schultag. Sie ist so glücklich, so ängstlich.«
Ich betrachte das Foto, habe Hemmungen nachzufragen, blicke auf. Kimy sieht aus dem Fenster zum Fluss. »Was ist passiert?«
»Ach. Sie starb. Schon vor deiner Geburt. Sie hatte Leukämie, sie starb.«
Plötzlich erinnere ich mich wieder. »Saß sie nicht immer hinterm Haus in einem Schaukelstuhl? In einem roten Kleid?«
Mrs Kim sieht mich verblüfft an. »Du hast sie gesehen?«
»Ja, glaub schon. Es ist
Weitere Kostenlose Bücher