Die Frau des Zeitreisenden
bin auf Händen und Knien, der Boden ist kalt und mit vertrockneten Grasstoppeln übersät. Mein Magen ist leer, ich erbreche nur Schleim. Es ist kalt. Ich blicke auf. Ich bin auf der Lichtung, bei der Wiese. Die Bäume sind kahl, am Himmel hängen trübe Wolken, frühe Dunkelheit bahnt sich an. Ich bin allein.
Ich stehe auf und suche die Kleiderschachtel. Wenig später trage ich ein T-Shirt von den Gang of Four, einen Pullover und Jeans, dicke Socken und schwarze Militärstiefel, einen schwarzen Wollmantel und riesige hellblaue Fäustlinge. Etwas hat sich in die Schachtel gefressen und ein Nest gebaut. Die Kleidung lässt auf Mitte der Achtziger schließen. Clare ist ungefähr fünfzehn oder sechzehn. Ich überlege, ob ich hier bleiben und auf sie warten oder einfach gehen soll. Ich weiß nicht, ob ich Clares jugendlichem Überschwang im Moment gewachsen bin. Ich drehe mich um und gehe in Richtung Obstgarten.
Es dürfte Ende November sein. Das Gras auf der Wiese ist braun und raschelt im Wind. Am Rand der Lichtung streiten Krähen um windabgeworfene Äpfel. Dort angelangt, höre ich jemand keuchend hinter mir her rennen. Clare.
»Henry...« Sie ist außer Atem und klingt erkältet. Ich lasse sie eine Weile schnaufend stehen, denn ich kann nicht mit ihr reden. Sie japst nach Luft, ihr Atem steigt in weißen Wolken empor, ihre Haare schimmern leuchtend rot in dem Grau und Braun, ihre Haut ist blassrosa.
Ich drehe mich um und gehe in den Obstgarten.
»Henry...« Clare folgt mir, packt mich am Arm. »Was ist los? Was hab ich falsch gemacht? Warum redest du nicht mit mir?«
Oh, Gott. »Ich wollte etwas für dich tun, etwas Wichtiges, aber es hat nicht geklappt. Ich bin nervös geworden und hier gelandet.«
»Was wolltest du tun?«
»Kann ich dir nicht erzählen. Ich wollte es dir sogar in der Gegenwart verschweigen. Es hätte dir nicht gefallen.«
»Warum wolltest du es dann tun?« Clare zittert im Wind.
»Es ging nicht anders. Du wolltest einfach nicht auf mich hören. Ich dachte, wenn ich das hinter mich bringe, hätte unser ewiges Streiten ein Ende.« Seufzend nehme ich mir vor, es wieder zu versuchen und, wenn nötig, ein weiteres Mal.
»Warum streiten wir?« Clare sieht nervös und ängstlich zu mir auf. Ihre Nase läuft.
»Bist du erkältet?«
»Ja. Worüber streiten wir?«
»Alles fing damit an, als die Frau des Botschafters auf einer Soiree, die in der Botschaft abgehalten wurde, der Geliebten des Premierministers eine Ohrfeige gab. Diese Schandtat wirkte sich auf den Zolltarif für Haferflocken aus, was zu hoher Arbeitslosigkeit und Krawallen führte...«
»Henry.«
»Ja?«
»Würdest du einmal, nur ein einziges Mal aufhören, dich über mich lustig zu machen und mir eine Antwort auf das geben, was ich dich frage?«
»Ich kann nicht.«
Ohne es sich lange zu überlegen, gibt Clare mir eine schallende Ohrfeige. Ich trete zurück, überrascht, aber glücklich.
»Schlag mich noch mal.«
Verwirrt schüttelt sie den Kopf. »Bitte, Clare.«
»Nein. Warum willst du, dass ich dich schlage? Ich wollte dir wehtun.«
»Ich will ja, dass du mir wehtust. Bitte.« Ich senke den Kopf.
»Was ist eigentlich los mit dir ?«
»Alles ist schrecklich, und ich spüre es irgendwie nicht.«
»Was ist schrecklich? Was ist denn los?«
»Frag mich nicht.« Clare tritt ganz dicht zu mir heran und nimmt meine Hand. Sie zieht mir den lächerlichen hellblauen Fäustling aus, hebt meinen Handteller an ihren Mund und beißt zu. Es tut schrecklich weh. Als sie aufhört, betrachte ich meine Hand. Winzige Blutstropfen dringen langsam aus der Bisswunde.
»Sag’s mir.« Ihr Gesicht ist dicht vor meinem. Ich küsse sie ziemlich grob. Sie wehrt sich. Als ich sie loslasse, kehrt sie mir den Rücken zu.
»Das war gar nicht nett«, sagt sie leise.
Was ist bloß mit mir los? Schließlich ist Clare mit fünfzehn nicht dieselbe Person, die mich seit Monaten quält, die sich weigert, ihren Wunsch nach einem eigenen Kind aufzugeben, die Tod und Verzweiflung riskiert und unser Liebesieben in ein Schlachtfeld verwandelt, auf dem Kinderleichen verstreut liegen. Ich lege ihr meine Hände auf die Schultern. »Tut mir Leid. Tut mir ehrlich Leid, Clare, aber es ist nicht deine Schuld. Bitte.«
Sie wendet sich ab. Sie weint und ist am Boden zerstört. Erstaunlicherweise habe ich ein Papiertaschentuch in meiner Manteltasche. Ich tupfe ihr die Tränen ab, und sie nimmt mir das Tuch ab und putzt sich die Nase.
»Du hast mich noch nie
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