Die Frau des Zeitreisenden
den Ärger, der in meiner Kehle aufsteigt, nicht in meine Worte einfließen zu lassen.
Henry kommt hinter der Theke hervor, stellt sich vor mich hin, fasst mich aber nicht an, ihm ist klar, er darf mich jetzt nicht anfassen. »Clare. Die nächste Fehlgeburt würde dich umbringen, und ich denke nicht daran, etwas fortzusetzen, das mit deinem Tod enden kann. Fünf Schwangerschaften ... ich weiß, du willst es wieder probieren, aber ich kann nicht. Ich ertrage es nicht mehr, Clare. Tut mir Leid.«
Ich gehe zur hinteren Tür hinaus und bleibe bei den Himbeerbüschen in der Sonne stehen. Dort, im Schatten des späten Nachmittags bei den Rosen liegen jetzt unsere toten Kinder, eingehüllt in weiches japanisches Seidenpapier, gebettet in winzigen Holzkisten. Ich spüre die Hitze der Sonne auf meiner Haut und erschaudere für sie, tief im Garten, kühl an diesem milden Junitag. Hilf mir, sage ich im Kopf zu unserem künftigen Kind. Er weiß es nicht, also darf ich es ihm nicht sagen. Bitte komm bald.
Freitag, 9. Juni 2000/19. November 1986 (Henry 36, Clare 15)
Henry : Es ist 8.45 Uhr an einem Freitagmorgen, ich sitze im Wartezimmer eines gewissen Dr. Robert Gonsalez. Clare weiß nichts davon. Ich habe beschlossen, eine Vasektomie vornehmen zu lassen.
Die Praxis von Dr. Gonsalez liegt in der Sheridan Road, in der Nähe des Diversey Parkway, in einem schicken Ärztehaus gleich oberhalb des Lincoln Park Conservatory. Das Wartezimmer ist braun und jägergrün ausgestattet, jede Menge Holztäfelung und gerahmte Drucke von Derbygewinnern aus den 1880er Jahren. Alles sehr männlich. Mir ist, als sollte ich eine Smokingjacke tragen und mir eine dicke Zigarre zwischen die Zähne klemmen. Ich brauche einen Drink.
Die nette Frau von der Familienplanung hatte mir in ihrer tröstlichen, routinierten Stimme versichert, dass es kein bisschen wehtun würde. Mit mir warten fünf andere Männer. Ich frage mich, ob sie einen Tripper haben, aber vielleicht macht auch ihre Prostata Ärger. Vielleicht sitzen einige aus dem gleichen Grund hier wie ich und wollen ihre Karriere als potentieller Vater beenden. Ich empfinde eine gewisse Solidarität mit diesen unbekannten Männern, die wir hier an diesem grauen Morgen gemeinsam in diesem Raum aus braunem Holz und Leder sitzen und warten, bis wir in den Untersuchungsraum gehen und uns die Hose ausziehen dürfen. Da ist ein sehr alter Mann, der vornübergebeugt dasitzt und die Hände um einen Spazierstock klammert, seine Augen geschlossen hinter dicken Brillengläsern, die seine Lider vergrößern. Wahrscheinlich ist er nicht hier, um an sich herumschnippeln zu lassen. Ein Jugendlicher, der eine uralte Ausgabe von Esquire duchblättert, täuscht Gleichgültigkeit vor. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, dass ich in einer Bar bin und die Bardame mit mir zugewandtem Rücken einen ordentlichen Scotch mit nur ganz wenig lauwarmem Wasser mixt. Vielleicht in einem englischen Pub. Ja, das würde zu der Ausstattung hier passen. Der Mann zu meiner Linken hustet, ein tiefes, irgendwie lungenerschütterndes Husten, doch als ich die Augen öffne, sitze ich noch immer im Wartezimmer eines Arztes. Verstohlen blicke ich auf die Uhr meines rechten Nachbarn. Er hat eine dieser gewaltigen Sportuhren, mit denen man Sprints stoppen oder das Mutterschiff rufen kann. Es ist 9.58 Uhr. Mein Termin beginnt in zwei Minuten. Aber der Arzt scheint hinterherzuhinken. Die Empfangsschwester ruft »Mr Liston«, worauf der Jugendliche unvermittelt aufsteht und durch die schwere schallgedämpfte Tür ins Untersuchungszimmer tritt. Der Rest von uns sieht sich flüchtig an, als säßen wir in der U-Bahn und ein Obdachloser würde versuchen, uns Streetwise zu verkaufen.
Ich bin steif vor Anspannung und rede mir ein, dass es ein notwendiger und guter Entschluss ist, den ich da gefasst habe. Ich bin kein Verräter. Nein, ich bin kein Verräter. Ich erspare Clare Leid und Schmerz. Sie wird es nie erfahren. Es wird nicht wehtun. Vielleicht wird es ein bisschen wehtun. Eines Tages werde ich es ihr sagen, und sie wird einsehen, dass ich nicht anders konnte. Wir haben alles versucht. Ich habe keine Wahl. Ich bin kein Verräter. Auch wenn es wehtut, wäre es das wert. Ich tue es, weil ich sie liebe. Ich sehe Clare vor mir, wie sie auf unserem Bett sitzt, mit Blut besudelt, weinend, und mir wird übel.
»Mr DeTamble.« Ich stehe auf, und nun ist mir richtig übel. Meine Knie geben nach. Mein Kopf dreht sich, ich krümme mich, würge,
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