Die Frau des Zeitreisenden
lange her. Ich war ungefähr sieben. Ich stand auf den Stufen zum Fluss, splitternackt, und sie sagte, ich soll bloß nicht in ihren Garten kommen, worauf ich sagte, das sei mein Garten, aber sie wollte mir nicht glauben. Ich konnte das nicht verstehen.« Ich lache. »Sie meinte, ihre Mom würde mich hauen, wenn ich nicht weggehe.«
Kimy lacht zittrig. »Und, sie hat Recht, hm?«
»Ja, sie hat sich nur um ein paar Jahre vertan.«
Kimy lächelt. »Ja, Min, meine kleine Knalltüte. Ihr Dad nannte sie Miss Großmaul. Er hat sie über alles geliebt.« Kimy dreht den Kopf zu Seite, tupft sich verstohlen mit der Hand an die Augen. Ich entsinne mich an Mr Kim als wortkargen Mann, der meistens im Sessel saß und Sport im Fernsehen sah.
»In welchem Jahr wurde Min geboren?«
»1949. Sie starb 1956. Komisch, heute wär sie eine Frau im mittleren Alter mit eigenen Kindern. Neunundvierzig wär sie. Und die Kinder wären vielleicht im College, vielleicht ein bisschen älter.« Kimy sieht mich an, und ich erwidere ihren Blick.
»Wir versuchen es, Kimy. Wir versuchen alles Menschenmögliche.«
»Ich hab nichts gesagt.«
»M-hm.«
Kimy zwinkert mir unschuldig zu, als wäre sie Louise Brooks oder sonst ein Stummfilmstar. »Hey, Kumpel, kannst du mir bei diesem Kreuzwort helfen? Neun senkrecht, fängt mit >K< an...«
Clare: Ich beobachte, wie die Polizeitaucher in den Lake Michigan hinausschwimmen. Es ist ein bewölkter Morgen, schon sehr heiß. Ich stehe am Pier bei der Dempster Street. Auf der Sheridan Road warten fünf Feuerwehrwagen, drei Krankenwagen und sieben Streifenwagen mit blinkenden Lichtern. Siebzehn Feuerwehrleute und sechs Sanitäter sind im Einsatz. Des Weiteren vierzehn Polizisten und eine Polizistin, eine kleine dicke weiße Frau, deren Kopf unter der Mütze eingezwängt wirkt und die ständig alberne Plattitüden von sich gibt, mit denen sie mich trösten will, bis ich sie am liebsten vom Pier stoßen würde. Ich halte Henrys Kleider in der Hand. Es ist fünf Uhr morgens. Einundzwanzig Reporter sind da, darunter einige vom Fernsehen mit Übertragungswagen, Mikrophonen und Kameraleuten, ein paar davon sind Zeitungsreporter mit Fotografen. Am Rand des Geschehens lauert diskret, aber neugierig, ein älteres Paar. Ich versuche nicht an die Beschreibung des Polizisten zu denken, wie Henry vom Ende des Piers gesprungen ist, eingefangen im Suchscheinwerferstrahl des Polizeiwagens. Ich versuche gar nicht zu denken.
Zwei neue Beamte kommen den Pier entlanggelaufen. Sie beraten sich mit einigen bereits anwesenden Kollegen, dann löst sich einer der beiden, der Ältere, von der Gruppe und nähert sich mir.
Er hat einen Schnauzbart der altmodischen Art, der in kleinen Spitzen endet. Er stellt sich als Captain Michels vor und fragt mich, ob ich mir einen Grund vorstellen kann, weshalb mein Mann sich vielleicht das Leben nehmen wollte.
»Also, ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass er das getan hat, Captain. Ich meine, er ist ein sehr guter Schwimmer, wahrscheinlich schwimmt er einfach nur nach Wilmette oder sonst wohin« - ich weise mit der Hand vage in Richtung Norden - »und kommt jeden Moment zurück ...«
Der Captain macht ein zweifelndes Gesicht. »Schwimmt er öfter mitten in der Nacht?«
»Er leidet an Schlaflosigkeit.«
»Hatten Sie Streit? War er aufgeregt?«
»Nein«, lüge ich. »Natürlich nicht.« Ich sehe aufs Wasser hinaus. Sehr überzeugend klinge ich wohl nicht. »Ich habe geschlafen, und er hat offenbar beschlossen, schwimmen zu gehen, wollte mich aber nicht wecken.«
»Hat er eine Nachricht hinterlassen?«
»Nein.« Ich zerbreche mir den Kopf nach einer glaubhafteren Erklärung, als ich ein Platschen nahe dem Ufer höre. Halleluja. Nicht einen Augenblick zu früh. »Da ist er ja!« Henry will sich gerade im Wasser aufrichten, hört mich rufen, duckt sich wieder und schwimmt zum Pier.
»Clare, was ist los?«
Ich knie nieder. Henry sieht müde und verfroren aus. »Sie dachten, du wärst ertrunken«, sage ich leise. »Ein Polizist hat gesehen, wie du vom Pier gesprungen bist. Seit zwei Stunden suchen sie deine Leiche.«
Henry blickt besorgt, aber auch amüsiert drein. Wenn er nur die Polizei ärgern kann. Alle haben sich um mich geschart und spähen stumm auf Henry hinab.
»Sind Sie Henry DeTamble?«, fragt der Captain.
»Ja. Würde es Sie stören, wenn ich aus dem Wasser komme?« Alle folgen wir Henry zum Ufer, er schwimmend, der Rest von uns geht zu Fuß auf dem Pier neben ihm her. Er
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