Die Frau des Zeitreisenden
haben ihren späteren Mann in regelmäßigen Abständen splitternackt in Erscheinung treten sehen? Clare beobachtet mich bei meinen Grübeleien. Ich muss daran denken, wie ich das erste Mal mit Clare geschlafen habe, und möchte wissen, ob es für sie damals auch das erste Mal war. Ich nehme mir vor, diese Frage zu klären, wenn ich wieder in meiner Gegenwart bin. Clare packt unterdessen die Sachen ordentlich in den Picknickkorb zurück.
»Also?«
Ach, was soll’s. »Ja.«
Clare ist aufgeregt, aber auch ängstlich. »Henry. Du hast schon so oft mit mir geschlafen...«
»Viele, viele Male.«
Ihr fällt es nicht leicht, darüber zu reden.
»Es ist immer schön«, versichere ich ihr. »In meinem Leben gibt es nichts Schöneres. Ich werde ganz sanft sein.« Kaum habe ich das gesagt, werde ich unerwartet nervös. Ich fühle mich verantwortlich und Humbert-Humberthaft, aber auch von vielen Leuten beobachtet, und all diese Leute sind Clare. Noch nie war mir weniger nach Sex zumute. Also gut. Tief durchatmen. »Ich liebe dich.«
Wir beide stehen auf, taumeln ein bisschen auf der unebenen Decke. Ich breite die Arme aus, und Clare kommt zu mir. Starr stehen wir da, umarmen einander auf der Wiese wie Braut und Bräutigam auf einer Hochzeitstorte. Immerhin ist dies Clare, die meinem einundvierzigjährigen Ich fast genauso begegnet wie bei unserem ersten Treffen. Keine Angst. Sie legt den Kopf zurück. Ich beuge mich vor und küsse sie.
»Clare.«
»Mmmm?«
»Bist du absolut sicher, dass wir allein sind?«
»Bis auf Etta und Nell sind alle in Kalamazoo.«
»Weil ich mir nämlich vorkomme, als wäre irgendwo eine versteckte Kamera.«
»Paranoid. Sehr traurig.«
»Vergiss es.«
»Wir könnten in mein Zimmer gehen.«
»Zu gefährlich. Gott, das ist ja wie in der Highschool.«
»Was?«
»Schon gut.«
Clare tritt zurück und öffnet den Reißverschluss an ihrem Kleid, zieht es über den Kopf und lässt es mit bewundernswerter Unbekümmertheit auf die Decke fallen. Dann steigt sie aus den Schuhen und streift die Strümpfe ab. Sie hakt ihren BH auf, wirft ihn weg und schält sich aus ihrem Höschen. Vollkommen nackt steht sie vor mir. Irgendwie ist es ein Wunder: All die kleinen Dinge, die ich im Laufe der Zeit lieb gewonnen habe, sind verschwunden; ihr Bauch ist flach, keine Spur von den Schwangerschaften, die uns so viel Kummer und so viel Glück bringen werden. Diese Clare ist ein bisschen dünner und bei weitem heiterer als die Clare, die ich in der Gegenwart liebe. Wieder wird mir bewusst, wie sehr uns die Traurigkeit eingeholt hat. Doch davon ist heute wunderbarerweise nichts zu spüren; heute ist die Möglichkeit auf Glück greifbar nahe. Ich knie nieder, und Clare tritt zu mir und bleibt vor mir stehen. Ich presse mein Gesicht einen Augenblick an ihren Bauch und blicke dann hoch; Clare ragt über mir auf, ihre Hände in meinen Haaren, umgeben vom wolkenlosen blauen Himmel.
Ich winde mich aus der Jacke und löse die Krawatte. Clare kniet sich hin, und wir entfernen ungeschickt und mit der Konzentration eines Bombenräumkommandos die Manschettenknöpfe. Ich ziehe Unterhose und Unterhemd aus, etwas, das ich unmöglich anmutig ausfuhren kann. Mir ist schleierhaft, wie männliche Stripper dieses Problem lösen. Oder hüpfen sie einfach nur auf der Bühne herum, mit einem Bein drin und einem draußen? Clare lacht. »Ich hab noch nie gesehen, wie du dich ausziehst. Kein hübscher Anblick.«
»Du verletzt mich. Komm her, ich will dir dein Grinsen aus dem Gesicht wischen.«
»O-o.« Tatsächlich gelingt es mir, in den folgenden fünfzehn Minuten jede Spur von Überheblichkeit aus Clares Gesicht zu verbannen, wie ich voller Stolz bemerken muss. Leider ist sie zunehmend verkrampft und irgendwie ... auf der Hut. In den vierzehn Jahren und weiß der Himmel wie vielen Stunden und Tagen, in denen wir glücklich, angstvoll, drängend und sehnsüchtig miteinander geschlafen haben, ist dies absolut neu für mich. Ich wünsche mir, sofern das überhaupt möglich ist, dass sie das gleiche Staunen empfindet wie ich, als ich ihr begegnet bin und wir uns - wie ich dachte (Dummkopf, der ich bin) - zum ersten Mal geliebt haben. Ich setze mich auf und keuche. Clare setzt sich ebenfalls auf und schlingt schützend ihre Arme um die Knie.
»Alles in Ordnung?«
»Ich hab Angst.«
»Das ist normal.« Ich überlege. »Ich schwöre dir, dass du mich nächstes Mal, wenn wir zusammen sind, praktisch vergewaltigst. Im Ernst, darin bist du
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