Die Frau des Zeitreisenden
sind hohl. Die Haare sind ihm fast bis zu den Schultern gewachsen und von Grau durchsetzt. An Händen und Füßen sind Schnittwunden und sein Körper ist mit Insektenstichen übersät. Er ist sehr braun gebrannt und schmutzig, schwarze Fingernägel, Dreck ist in die Hautfalten geschwitzt. Er riecht nach Gras, Blut und Salz. Nachdem ich ihn mir eine Weile angesehen habe, beschließe ich, ihn zu wecken. »Henry«, sage ich ganz leise, »wach jetzt auf, du bist zu Hause...« Vorsichtig streichle ich sein Gesicht, bis er sein Auge öffnet. Ich merke, dass er noch nicht ganz wach ist. »Clare«, murmelt er. »Clare.«
Und schon strömen Tränen aus seinem guten Auge, er zittert und schluchzt, und ich ziehe ihn auf meinen Schoß. Ich muss weinen. Henry liegt gekrümmt bei mir, wir zittern eng aneinander geschmiegt und wiegen uns, wiegen uns, weinen gemeinsam vor Erleichterung und Kummer.
Donnerstag, 23. Dezember 2004 (Clare ist 33, Henry 41)
Clare: Ein Tag vor Heiligabend. Henry ist im Water Tower Place und sieht sich mit Alba den Weihnachtsmann bei Marshall Field’s an, während ich letzte Einkäufe erledigt habe. Nun sitze ich bei Border’s Bookstore im Café, trinke Cappuccino an einem Fenstertisch und ruhe meine Füße neben einem Haufen bauchiger Einkaufstüten aus, die am Stuhl lehnen. Draußen neigt sich der Tag, und winzige weiße Lichter konturieren jeden Baum. Kauflustige eilen die Michigan Avenue auf und ab, und unten höre ich das gedämpfte Glockenbimmeln des Weihnachtsmanns von der Heilsarmee. Ich wende mich wieder dem Laden zu, suche nach Henry und Alba, als jemand meinen Namen ruft. Kendrick kommt mit seiner Frau Nancy und den Kindern Colin und Nadia im Schlepptau auf mich zu.
Man sieht auf einen Blick, dass sie eben bei FAO Schwarz waren; sie haben den verstörten Blick von Eltern, die frisch der Spielzeughölle entflohen sind. Nadia kommt zu mir gerannt und quiekst »Tante Clare, Tante Clare! Wo ist Alba?« Colin lächelt schüchtern und hält mir seine Hand hin, in der ein kleiner gelber Abschleppwagen liegt. Ich beglückwünsche ihn und erkläre Nadia, dass Alba den Weihnachtsmann besucht, worauf Nadia erwidert, sie habe ihn schon letzte Woche gesehen. »Und was hast du dir gewünscht?«, erkundige ich mich. »Einen Freund«, sagt Nadia. Sie ist drei Jahre alt. Ich grinse Kendrick und Nancy an. Kendrick bemerkt etwas - sotto voce - zu Nancy, und sie sagt: »Kommt, Kinder, wir müssen noch ein Buch für Tante Silvie suchen«, und schon pesen die drei zu den Tischen mit den Sonderangeboten. Kendrick weist auf den leeren Stuhl mir gegenüber. »Darf ich?«
»Natürlich.«
Er setzt sich mit einem tiefen Seuzer. »Ich hasse Weihnachten.«
»Henry auch.«
»Tatsächlich? Wusste ich gar nicht.« Kendrick lehnt sich ans Fenster und schließt die Augen. Ich denke schon fast, er ist eingeschlafen, als er sie öffnet und sagt: »Befolgt Henry seinen Medikamentenplan?«
»Ich glaube schon. Das heißt, so gut er kann, wenn man bedenkt, dass er in letzter Zeit häufig gereist ist.«
Kendrick trommelt mit den Fingern auf den Tisch. »Wie oft ist häufig?«
»Alle paar Tage.«
Kendrick sieht wütend aus. »Warum erzählt er mir solche Sachen nicht?«
»Wahrscheinlich hat er Angst, dass du dich aufregst und alles hinschmeißt.«
»Er ist meine einzige Testperson, die sprechen kann, aber er erzählt mir nichts!«
Ich lache. »Willkommen im Club.«
»Ich versuche wissenschaftlich zu arbeiten«, sagt Kendrick. »Er muss mir mitteilen, wenn etwas nicht funktioniert. Sonst verschwenden wir alle nur unsere Zeit.«
Ich nicke. Draußen hat es angefangen zu schneien.
»Clare?«
»Hmm?«
»Warum lässt du mich nicht einfach mal Albas DNA ansehen?«
Dieses Thema habe ich schon hundertmal mit Henry durchgekaut. »Weil du erst mal alle ihre Genmarker analysieren würdest, was noch in Ordnung wäre. Aber dann würdest du und Henry mir so lange zusetzen, bis ich euch erlaube, Medikamente an ihr auszuprobieren, und das wäre nicht mehr in Ordnung. Darum.«
»Aber sie ist noch sehr jung, ihre Chancen, dass sie auf die Behandlung anspricht, stehen weitaus besser.«
»Ich bleibe bei nein. Wenn Alba achtzehn ist, kann sie für sich selbst entscheiden. Bis jetzt war alles, was du Henry gegeben hast, ein Alptraum.« Ich kann Kendrick nicht ansehen, sage diese Bemerkung zu meinen Händen, die fest gefaltet auf dem Tisch liegen.
»Aber vielleicht könnten wir eine Gentherapie für sie entwickeln...«
»An
Weitere Kostenlose Bücher