Die Frau des Zeitreisenden
Gentherapie sind Menschen schon gestorben.«
Kendrick schweigt. Der Lärmpegel im Laden ist überwältigend. Dann höre ich Alba aus dem Stimmengewirr »Mama« rufen. Ich blicke auf und sehe sie auf Henrys Schultern reiten, sie umfasst seinen Kopf mit den Händen. Beide tragen sie Waschbärfellmützen. Als Henry Kendrick entdeckt, wirkt er einen Moment lang verängstigt, und ich frage mich, was die beiden Männer mir wohl verheimlichen. Dann lächelt Henry und kommt mit großen Schritten auf uns zu, mit einer Alba, die glücklich über der Menge schaukelt. Kendrick steht auf und begrüßt ihn; ich schiebe den Gedanken beiseite.
GEBURTSTAG
Mittwoch, 24. Mai 1989 (Henry ist 41, Clare 18)
Henry: Mit einem dumpfen Plumps komme ich zu mir und schlittere auf der Seite liegend über die piksigen Stoppeln der Wiese, bis ich schmutzig und blutend zu Clares Füßen lande. Sie sitzt ruhig auf dem Stein, mustergültig gekleidet in ein weißes Seidenkleid, weiße Strümpfe und Schuhe, dazu kurze weiße Handschuhe. »Hallo, Henry«, sagt sie, als wäre ich eben mal zum Tee vorbeigekommen.
»Was ist los?«, frage ich. »Du siehst aus, als ob du auf dem Weg zur ersten Kommunion bist.«
Clare richtet sich kerzengerade auf und sagt: »Heute ist der 24. Mai 1989.«
Ich überlege schnell. »Gratuliere zum Geburtstag. Du hast nicht zufällig hier irgendwo ein Bee-Gees-Kostüm für mich gehamstert?« Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken erhebt Clare sich vom Stein und zaubert, indem sie hinter sich greift, einen Kleidersack hervor. Mit schwungvoller Gebärde öffnet sie den Reißverschluss und zeigt einen Frack, eine Hose und eins von diesen grässlich förmlichen Hemden, für die man Manschettenknöpfe braucht. Dann holt sie noch einen Koffer, in dem sich Unterwäsche, Kummerbund, eine Schleife und eine Gardenie befinden. Ich bin ernsthaft alarmiert und nicht vorgewarnt. Ich gehe die möglichen Termine durch. »Clare. Wir haben heute nicht etwa vor zu heiraten oder etwas ähnlich Verrücktes, oder? Weil ich nämlich absolut sicher bin, dass unser Jahrestag im Herbst ist. Oktober. Ende Oktober.«
Clare wendet den Blick ab, während ich mich anziehe. »Du kannst dich also nicht an unseren Jahrestag erinnern? Typisch Mann.«
Ich seufze. »Liebste, du weißt, dass ich ihn weiß, im Moment kann ich ihn nur nicht genau festmachen. Aber trotzdem. Alles Gute zum Geburtstag.«
»Ich bin achtzehn.«
»Meine Güte, was du nicht sagst. Mir kommt es vor, als wärst du noch gestern sechs gewesen.«
Wie immer ist Clare von der Vorstellung, dass ich erst kürzlich bei einer älteren oder jüngeren Clare gewesen bin, völlig fasziniert. »Hast du mich in letzter Zeit gesehen, als ich sechs war?«
»Also, eben lag ich noch mit dir im Bett und du hast Emma gelesen. Du warst dreiunddreißig. Ich bin im Augenblick einundvierzig, und so fühle ich mich auch.« Ich kämme mir mit den Fingern die Haare und fahre mir mit der Hand über den Stoppelbart. »Tut mir Leid, Clare, ich fürchte, du erlebst mich an deinem Geburtstag nicht in Bestform.« Ich befestige die Gardenie im Knopfloch am Frack und kümmere mich dann um die Manschetten. »Vor ungefähr zwei Wochen hab ich dich gesehen, als du sechs warst. Du hast mir ein Bild mit einer Ente gemalt.«
Clare errötet. Die Röte breitet sich aus wie Blutstropfen in einer Milchschale.
»Hast du Hunger? Ich hab uns einen Festschmaus mitgebracht!«
»Natürlich hab ich Hunger. Ich verschmachte, bin abgezehrt und spiele in Gedanken mit Kannibalismus.«
»Das verschieben wir lieber auf später.«
Etwas in ihrem Tonfall lässt mich aufhorchen. Da ist was im Busch, von dem ich nichts ahne, und Clare erwartet, dass ich es weiß. Sie vibriert geradezu vor Aufregung. Ich erwäge die relativen Vorzüge eines schlichten Eingeständnisses meiner Unwissenheit versus weiterhin den Wissenden vorzugaukeln und entscheide mich vorläufig für Letzteres. Clare breitet eine Decke aus, die später auf unserem Bett landen wird. Vorsichtig lasse ich mich darauf nieder, das vertraute Hellgrün beruhigt mich. Clare packt Sandwichs aus, kleine Pappbecher, Besteck, Cracker, ein winziges schwarzes Gläschen Supermarkt-Kaviar, dünne Pfadfinder-Schokominzkekse, Erdbeeren, eine Flasche Cabernet mit einem edlen Etikett, Briekäse, der ein bisschen zerlaufen aussieht, und Pappteller.
»Clare. Wein! Kaviar!« Ich bin beeindruckt und irgendwie gar nicht erfreut. Sie reicht mir den Cabernet nebst Korkenzieher. »Wahrscheinlich
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