Die Frau des Zeitreisenden
Biest!« Er beißt mir in den Nacken und kitzelt mich.
»Aber du wusstest es nicht, deshalb konnte ich dir nichts sagen.«
»Ach, richtig. Meine Güte, du bist unglaublich.« Wir setzen uns auf das fleckige alte Ateliersofa. »Können wir die Heizung aufdrehen?«
»Klar.« Henry springt auf und dreht den Thermostat höher. Die Heizung springt an. »Wie lange war ich weg?«
»Fast einen ganzen Tag.«
Henry seufzt. »War es das wert? Ein Tag voller Angst gegen ein paar wirklich wunderbare Stunden?«
»Ja. Es war einer der schönsten Tage meines Lebens.« Still hänge ich der Erinnerung nach. Ich beschwöre es oft herauf - Henrys Gesicht über meinem, umgeben von blauem Himmel und das Gefühl, von ihm erfüllt zu sein. Ich male es mir immer aus, wenn er fort ist und ich nicht schlafen kann.
»Erzähl schon...«
»Hmmm?« Wir halten uns eng umschlungen, um uns zu wärmen und zu trösten.
»Was ist passiert, nachdem ich fort war?«
»Ich hab alles eingesammelt, mich wieder in einen halbwegs vorzeigbaren Zustand gebracht und bin dann zurück ins Haus. Ich bin unbemerkt nach oben gekommen und hab mich in die Badewanne gesetzt. Nach einer Weile fing Etta an, gegen die Tür zu hämmern. Sie wollte wissen, wieso ich mitten am Tag ein Bad nehme, und ich musste so tun, als ginge es mir schlecht. Was in gewisser Weise ja auch stimmte ... Den Sommer über hab ich gefaulenzt, viel geschlafen. Gelesen. Mich irgendwie in mich selbst eingeigelt. Manchmal war ich auf der Wiese und hoffte irgendwie, du würdest auftauchen. Ich schrieb dir Briefe, die ich wieder verbrannte. Eine Weile hörte ich auf zu essen, woraufhin Mom mich zu ihrer Therapeutin schleifte, und ich wieder anfing zu essen. Gegen Ende August teilten meine Eltern mir mit, dass ich im Herbst nicht zur Schule gehen könnte, wenn ich mir nicht bald »einen Ruck geben< würde, also gab ich mir sofort einen Ruck, weil mein einziges Lebensziel war, aus dem Haus zu kommen und nach Chicago zu ziehen. Und die Schule war eine gute Sache: Sie war neu, ich hatte eine Wohnung, ich liebte die Stadt. Ich hatte etwas, worüber ich nachdenken konnte, abgesehen von der Tatsache, dass ich keine Ahnung hatte, wo du warst oder wie ich dich finden sollte. Als ich dir schließlich über den Weg lief, ging es mir ziemlich gut. Ich mochte meine Arbeit, hatte Freunde, es gab viele, die mit mir ausgehen wollten...«
»Ach ja?«
»Klar.«
»Und bist du ausgegangen?«
»Natürlich. Wo denkst du hin? Schon aus reinem Forschungsdrang ... und weil ich manchmal wütend war, dass du dich irgendwo in Chicago ungerührt mit anderen Frauen amüsierst. Aber meistens glich es eher einer schwarzen Komödie. Ich ging mit einem wirklich netten, hübschen Kunstjüngling aus und verbrachte den ganzen Abend gelangweilt damit, über die Sinnlosigkeit des Ganzen nachzudenken und dauernd auf die Uhr zu sehen. Nach dem fünften Anlauf gab ich es auf, weil ich merkte, dass ich die Typen echt ankotzte. An der Schule streute jemand das Gerücht, ich sei lesbisch, und von da an folgte eine Flut von Mädchen, die mit mir ausgehen wollte.«
»Du als Lesbe - das kann ich mir gut vorstellen.«
»Klar! Also benimm dich, sonst konvertiere ich.«
»Ich wollte immer eine Lesbe sein.« Henry sieht verträumt und schläfrig aus; das ist nicht fair, wo ich mich doch am liebsten auf ihn stürzen will. Er gähnt. »Aber wohl nicht mehr in diesem Leben. Zu viele Operationen.«
Im Kopf höre ich die Stimme von Pfarrer Compton hinterm Gitter des Beichtstuhls, die mich leise fragt, ob es noch etwas gebe, das ich beichten will. Nein, antworte ich entschieden. Nein, es gibt nichts. Es war ein Fehler. Ich war betrunken, und das zählt nicht. Der gute Pfarrer seufzt und schiebt den Vorhang zu. Ende der Beichte. Als Buße muss ich Henry anlügen, indem ich es ihm verschweige, solange wir beide leben. Ich sehe ihn an, glücklich und zufrieden, gesättigt vom Charme meines jüngeren Ich und dem Bild des schlafenden Gomez. Auf meiner geistigen Bühne blitzt Gomez’ Schlafzimmer im morgendlichen Licht auf. Es war ein Fehler, Henry, versichere ich ihm stumm. Ich habe gewartet und bin ein einziges Mal ins Straucheln geraten. Sag es ihm, drängt Pfarrer Compton oder eine andere Stimme in meinem Kopf. Ich kann nicht, gebe ich zurück. Er würde mich hassen.
»Hey«, sagt Henry sanft. »Wo bist du?«
»In Gedanken.«
»Du siehst so traurig aus.«
»Gibt es dir manchmal zu denken, dass die wirklich großartigen Dinge schon geschehen
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