Die Frau des Zeitreisenden
hab ich das noch nie erwähnt, aber ich darf nicht trinken. Ärztliche Anordnung.« Clare sieht geknickt aus. »Aber essen darf ich natürlich... Ich kann ja so tun, als würde ich trinken, falls das der Sache dienlich ist.« Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir so tun, als wären wie ein Paar. »Wusste gar nicht, dass du trinkst. Alkohol. Jedenfalls hab ich dich bisher noch kaum welchen trinken sehen.«
»Na ja, er schmeckt mir eigentlich auch nicht, aber da wir heute einen bedeutsamen Anlass feiern, fand ich Wein ganz schön. Sekt wäre natürlich besser gewesen, aber der Wein stand in der Speisekammer, also hab ich ihn mitgebracht.«
Ich öffne den Wein und gieße jedem einen kleinen Becher ein. Stumm toasten wir uns zu. Ich tue so, als nippte ich an meinem. Clare trinkt einen Mund voll, schluckt ihn in geschäftsmäßiger Manier und sagt: »Schmeckt gar nicht so übel.«
»Das ist ein Wein, der über zwanzig Dollar kostet.«
»Oh. Dann schmeckt er fabelhaft.«
»Clare.« Sie packt dunkle Roggensandwichs aus, die von Gurken überquellen. »Ich tappe ungern im Dunkeln ... ich meine, klar, du hast Geburtstag...«
»Meinen achtzehnten Geburtstag«, pflichtet sie bei.
»Na ja, überhaupt, ich bin wirklich untröstlich, dass ich kein Geschenk für dich habe...« Clare blickt überrascht auf, ich bin also auf der richtigen Spur, ich nähere mich dem Kern, »aber wie du weißt, weiß ich nie, wann ich komme, außerdem kann ich nie etwas mitbringen...«
»Weiß ich doch alles. Aber erinnerst du dich nicht, das haben wir doch alles geklärt, als du zuletzt hier warst; weil laut Liste ist heute unser letzter Tag, und mein Geburtstag. Erinnerst du dich nicht mehr?« Clare sieht mich durchdringend an, als könnte sie durch Konzentration die Erinnerung von ihrem Kopf in meinen übertragen.
»Ach. Da bin ich noch nicht gewesen. Im Ernst, diese Unterhaltung liegt für mich noch in der Zukunft. Ich frage mich, warum ich dir das damals nicht gesagt habe? Bei mir sind noch viele Termine auf der Liste übrig. Ist heute wirklich der letzte Tag? Du weißt, in ein paar Jahren werden wir uns in der Gegenwart treffen. Dann sehen wir uns wieder.«
»Aber das ist lange hin. Für mich jedenfalls.«
Eine peinliche Pause entsteht. Schon komisch, wenn ich mir vorstelle, dass ich in diesem Augenblick in Chicago bin, fünfundzwanzig Jahre alt, meinen Angelegenheiten nachgehe, völlig unbeeindruckt von Clares Existenz, und was das angeht, ohne die geringste Ahnung von meiner Anwesenheit hier auf dieser idyllischen Wiese in Michigan, an einem herrlichen Frühlingstag, dem achtzehnten Jahrestag ihrer Geburt. Mit Plastikmessern bestreichen wir Ritz Cracker mit Kaviar. Dann folgt eine Zeit lang eifriges Knabbern und heißhungriges Verzehren von Sandwichs. Allem Anschein nach ist die Unterhaltung gescheitert. Und dann frage ich mich zum ersten Mal, ob Clare vielleicht nicht ganz ehrlich zu mir ist, zumal sie genau weiß, dass ich mit Äußerungen, die mit »ich habe nie« beginnen, auf Kriegsfuß stehe, da ich nie auf eine komplette Bestandsaufnahme meiner Vergangenheit zurückgreifen kann, weil meine Vergangenheit dummerweise mit der Zukunft verwoben ist. Wir gehen zu den Erdbeeren über.
»Clare.« Sie lächelt unschuldig. »Was genau haben wir beschlossen, als du mich zuletzt gesehen hast? Was hatten wir uns für deinen Geburtstag vorgenommen?«
Wieder errötet sie. »Na ja, das hier«, sagt sie und zeigt auf unser Picknick.
»Sonst nichts? Wobei, ich finde es wunderbar.«
»Na ja. Doch.« Ich bin ganz Ohr, denn ich glaube zu wissen, was nun kommt.
»Ja?«
Clare ist ganz rosarot, legt sonst aber eine würdevolle Haltung an den Tag, als sie sagt: »Wir haben beschlossen, miteinander zu schlafen.«
»Ah.« Um ehrlich zu sein, haben mir Clares sexuelle Erfahrungen vor dem 26. Oktober 1991, dem Tag, an dem wir uns zum ersten Mal in der Gegenwart sahen, schon immer Rätsel aufgegeben. Trotz einiger ziemlich unerhörter Avancen ihrerseits bin ich immer standhaft geblieben und habe viele amüsante Stunden verbracht, in denen ich mit ihr über dieses und jenes geplaudert und dabei versucht habe, schmerzliche Ständer zu ignorieren. Heute aber ist Clare von Gesetzes wegen, wenn auch vielleicht nicht emotional, erwachsen, und ich kann ihr Leben bestimmt nicht allzu sehr verbiegen ... das heißt, allein durch die Tatsache, dass es mich in ihrer Kindheit gab, habe ich ihr schon ziemlich unheimliche Erlebnisse beschert. Wie viele Mädchen
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