Die Frau des Zeitreisenden
weil ich eben hier lag und mir dachte, was für ein Segen der heutige Tag ist. Hier bei dir zu sein und mit dir zu schlafen, statt von Schlägern gejagt zu werden oder mich in einer Scheune zu Tode zu frieren oder irgendein anderer blöder Scheiß, mit dem ich mich abgeben muss. Und wenn ich zurückgehe, bin ich bei dir. Und heute war wunderschön.« Clare lächelt ein bisschen. Ich küsse sie.
»Warum muss ich nur immer warten?«
»Weil du eine intakte DNA hast und nicht wie eine heiße Kartoffel in der Zeit herumgeworfen wirst. Im Übrigen ist Geduld eine Tugend.« Clare trommelt mit den Fäusten auf meine Brust ein. »Außerdem kennst du mich schon dein ganzes Leben lang, wohingegen ich dir erst mit achtundzwanzig begegne. Die vielen Jahre, bevor wir uns kennen lernen, verbringe ich also damit...«
»Andere Frauen zu vögeln.«
»Na ja, schon. Aber ohne dass ich es weiß, dient alles nur zur Übung für die Zeit, wenn ich dir begegne. Außerdem ist es sehr einsam und sonderbar. Wenn du mir nicht glaubst, probier es selbst. Ich werde es nie erfahren. Es ist anders, wenn keine Gefühle dabei sind.«
»Ich will aber keinen ändern.«
»Gut.«
»Henry, gib mir nur einen Tipp. Wo lebst du? Wo werden wir uns treffen? An welchem Tag?«
»Ein Tipp. Chicago.«
»Mehr.«
»Hab Vertrauen. Alles liegt vor dir.«
»Sind wir glücklich?«
»Wir sind oft wahnsinnig glücklich. Wir sind allerdings auch sehr unglücklich, aus Gründen, die wir nicht ändern können. Wie beispielsweise unsere Trennung.«
»Die Zeit, in der du jetzt hier bist, wirst du dann also nicht bei mir sein?«
»Nun ja, nicht ganz. Vielleicht bin ich nur mal zehn Minuten nicht da. Oder zehn Tage. Da gibt es keine Regel. Das macht es auch so schwer für dich. Zumal ich manchmal in gefährliche Situationen gerate und kaputt und zerschlagen zu dir zurückkomme, und du dir Sorgen machst, wenn ich weg bin. Es ist, als wärst du mit einem Polizisten verheiratet.« Ich bin erschöpft. Ich möchte wissen, wie alt ich in diesem Moment wirklich bin. In der Zeit, aus der ich komme, bin ich einundvierzig, aber bei dem ständigen Hin und Her könnte ich ebenso gut fünfundvierzig oder sechsundvierzig sein. Oder neununddreißig. Wer weiß? Aber etwas wollte ich ihr noch sagen, was war es noch?
»Clare?«
»Henry.«
»Vergiss nicht, dass ich dich nicht kennen werde, wenn du mich wieder triffst; sei nicht böse, wenn du mich siehst und ich dich wie eine wildfremde Person behandle, denn für mich wirst du nagelneu sein. Und bitte lass mir Zeit und bestürme mich nicht mit allem auf einmal. Hab Erbarmen, Clare.«
»Versprochen. Ach, Henry, bleib bei mir!«
»Seht. Ich bin immer bei dir.« Wir legen uns wieder hin. Erschöpfung durchdringt mich, und in einer Minute werde ich verschwunden sein.
»Ich liebe dich, Henry. Vielen Dank für ... mein Geburtstagsgeschenk.«
»Ich liebe dich, Clare. Sei brav.«
Und schon bin ich fort.
DAS GEHEIMNIS
Donnerstag, 10. Februar2005 (Clare ist 33, Henry 41)
Clare: Es ist Donnerstagnachmittag, ich bin im Atelier und schöpfe blassgelbes Kozo-Papier. Henry ist jetzt seit fast vierundzwanzig Stunden fort, und wie immer bin ich hin- und hergerissen und grüble einerseits zwanghaft darüber nach, wann und wo er sein könnte, andererseits bin ich stinksauer auf ihn, weil er nicht da ist und ich mir Sorgen um seine Rückkehr mache. Meiner Konzentration ist das nicht sehr förderlich, und ich ruiniere ziemlich viele Bögen. Ich lasse sie vom Schöpfsieb zurück in die Wanne platschen. Schließlich mache ich eine Pause und schenke mir einen Becher Kaffee ein. Es ist kalt im Atelier, und auch das Wasser in der Wanne müsste eigentlich kalt sein, obwohl ich es leicht angewärmt habe, damit meine Hände nicht aufreißen. Ich schließe sie fest um den heißen Keramikbecher, halte mein Gesicht über den aufsteigenden Dampf und atme den Kaffeeduft ein. Und dann - Gott sei Dank -höre ich Henry, der pfeifend über den Gartenweg ins Atelier kommt. Er stampft den Schnee von den Stiefeln und schüttelt den Mantel ab. Er sieht großartig aus, richtig glücklich. Mein Herz rast, und ich rate einfach drauflos: »24. Mai 1989?«
«Ja. O ja!« Henry hebt mich hoch, so wie ich bin, mit nasser Schürze, Gummistiefeln und allem, und dreht mich im Kreis. Jetzt muss ich lachen, wir beide müssen lachen. Henry strahlt vor Freude. »Warum hast du mir nichts gesagt ? In all den Jahren hab ich mir völlig umsonst Gedanken gemacht. Du kleines
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