Die Frau des Zeitreisenden
packe sie fest am Arm. Sie wimmert leise, aber ich bin entschlossen. Langsam biege ich ihren Arm gerade und pule das Pflaster vorsichtig ab. Da ist ein Bluterguss, in dessen Mitte ein kleiner roter Punkt prangt. Alba sagt: »Das brennt, nicht«, und ich lasse sie los. Sie klebt das Pflaster wieder fest und sieht mich erwartungsvoll an.
»Alba, geh doch mal zu Kimy und frag sie, ob sie nicht mit uns zu Abend essen will.« Alba lächelt und rennt aus dem Atelier. Wenig später knallt im Haus die hintere Tür. Henry sitzt an meinem Zeichentisch und schaukelt auf dem Stuhl leicht vor und zurück. Er mustert mich. Wartet darauf, was ich sage.
»Ich kann es nicht fassen«, setze ich schließlich an. »Wie konntest du nur?«
»Es musste sein«, erwidert Henry. Seine Stimme klingt ruhig. »Sie ... ich konnte sie nicht zurücklassen, ohne wenigstens ... ich wollte ihr einen Vorsprung geben. Damit Kendrick daran arbeiten kann, für sie arbeiten kann, nur für den Fall.« Mit quietschenden Galoschen und in Gummischürze gehe ich zu ihm und lehne mich an den Tisch. Henry neigt den Kopf, und das Licht furcht sein Gesicht, man sieht die Linien, die sich über die Stirn ziehen, um die Mundwinkel, seine Augen. Er hat noch mehr abgenommen. Seine Augen wirken riesig im Gesicht. »Clare, ich hab ihr nicht erzählt, wozu es dient. Du kannst es ihr erklären, wenn... es an der Zeit ist.«
Ich schüttle den Kopf, nein. »Ruf Kendrick an und sag ihm, er soll aufhören.«
»Nein.«
»Dann tu ich’s.«
»Clare, nicht...«
»Mit deinem eigenen Körper kannst du tun und lassen, was du willst, Henry, aber...«
»Clare!« Henry stößt meinen Namen zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Was ist?«
»Es ist vorbei, verstehst du? Ich bin erledigt. Kendrick sagt, er kann nichts mehr für mich tun.«
»Aber...«, ich mache eine Pause, um zu verarbeiten, was er da eben gesagt hat. »Aber... was geschieht dann?«
Henry schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich geschieht das, was wir nie ausschließen konnten. Aber wenn das geschieht, kann ich Alba nicht einfach zurücklassen, ohne wenigstens versucht zu haben, ihr zu helfen ... oh, Clare, bitte lass mich das für sie tun! Vielleicht funktioniert es nicht, vielleicht nimmt sie es nie in Anspruch - vielleicht findet sie es ja toll, durch die Zeit zu reisen, vielleicht verirrt sie sich nie und muss nie hungern, vielleicht wird sie nie verhaftet oder gejagt oder missbraucht oder zusammengeschlagen. Aber was ist, wenn sie es nicht gut findet? Clare? Ach, Clare, bitte wein doch nicht...« Aber ich kann nicht aufhören, ich stehe da und weine in meine gelbe Gummischürze, bis Henry schließlich aufsteht und mich in den Arm nimmt. »Wir waren nie davon befreit, Clare«, sagt er leise. »Ich will ihr nur ein Sicherheitsnetz bieten.« Ich spüre seine Rippen durch das T-Shirt. »Darf ich ihr das wenigstens hinterlassen?« Ich nicke, und Henry küsst mich auf die Stirn. »Danke«, sagt er, und ich fange wieder zu weinen an.
Samstag, 27. Oktober 1984 (Henry ist 43, Clare 13)
Henry: Ich kenne nun das Ende. Es geht so:
Eines frühen Herbstmorgens werde ich auf der Wiese sitzen. Es ist bewölkt und kühl, ich trage einen schwarzen Wollmantel, Stiefel und Handschuhe. Das Datum steht nicht auf der Liste. Clare wird noch in ihrem warmen Einzelbett schlafen. Sie wird dreizehn sein.
In der Ferne wird ein Schuss durch die kalte Luft knallen. Es ist Jagdsaison. Irgendwo da draußen sitzen Männer in leuchtend orangefarbener Kleidung und warten, schießen. Später trinken sie Bier und essen Brote, die ihnen ihre Frauen eingepackt haben.
Der Wind wird auffrischen, wird durch den Obstgarten rascheln und die nutzlosen Blätter von den Apfelbäumen reißen. In Meadowlark schlägt die hintere Tür zu, und zwei winzige, in leuchtendes Orange gekleidete Gestalten tauchen auf, ihre Gewehre sind kaum zu erkennen. Sie marschieren in meine Richtung auf die Wiese zu, Philip und Mark. Aber sie sehen mich nicht, denn ich kauere im hohen Gras, bin ein dunkler, unbeweglicher Fleck inmitten einer Fläche aus hellbraunem vertrocknetem Gras. Ungefähr zwanzig Meter vor mir werden Philip und Mark vom Weg abbiegen und in Richtung Wald marschieren.
Plötzlich werden sie stehen bleiben und horchen. Sie werden es noch vor mir hören: Ein Rascheln, Schlagen, etwas bewegt sich durchs Gras, groß und ungelenk, etwas Weißes blitzt auf, ein Schwanz vielleicht? Es kommt auf mich zu, rast in Richtung der
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