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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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sitzt und mir Sciencefiction erzählst. Wollte ich Sciencefiction, würde ich mir welche bei Amelia ausleihen.« Er sitzt auf den unteren Stufen, und als er uns hinter sich herunterkommen hört, dreht er sich um.
    »Hallo, Roberto«, sage ich leise. Catherine ruft: »O Gott! Das darf nicht wahr sein.« Roberto erhebt sich, verliert das Gleichgewicht, aber Matt springt ihm zur Seite und stützt ihn. Ich sehe zum Käfig hinüber, und da bin ich: Auf dem Boden sitzend, in weißem Hemd und Khakihose, die Arme um die Knie geschlungen und an die Brust gepresst, offenbar friere ich und bin hungrig. Vor dem Käfig steht ein Becher Kaffee. Roberto, Matt und Catherine mustern uns stumm.
    »Aus welcher Zeit kommst du?«, frage ich.
    »August 2006.« Ich nehme den Kaffee, halte ihn auf Kinnhöhe, stecke den Strohhalm durch die Käfigseite. Er trinkt ihn aus. »Willst du das Brötchen?« Er will. Ich breche es in drei Stücke und schiebe es ihm hinein. Ich komme mir vor wie im Zoo. »Du hast dich verletzt«, sage ich. »Ich bin mit dem Kopf irgendwo angeschlagen«, erwidert er. »Wie lange bleibst du noch hier?«
    »Ungefähr eine halbe Stunde.« Er macht eine Geste zu Roberto. »Siehst du?«
    »Was geht hier vor?«, fragt Catherine.
    Ich ziehe mein Ich zu Rate. »Willst du es erklären?«
    »Ich bin müde. Mach du.«
    Und so erkläre ich alles. Ich erkläre, dass ich durch die Zeit reise, ich beschreibe die praktische und genetische Seite davon. Ich erkläre, dass das Ganze in Wirklichkeit eine Art Krankheit ist, die ich nicht kontrollieren kann. Ich erzähle von Kendrick und wie Clare und ich uns kennen gelernt haben und später wieder trafen. Ich erwähne Ursache-Wirkungsbeziehungen, Quantenmechanik, Photonen, Lichtgeschwindigkeit. Ich erkläre, wie es ist, außerhalb von zeitlichen Zwängen zu leben, denen die meisten Menschen unterworfen sind. Ich erzähle ihnen von den Lügen und dem Stehlen, von der Angst. Ich erkläre meine Versuche, ein normales Leben zu führen. »Und zu einem normalen Leben gehört nun mal auch eine normale Arbeit«, schließe ich.
    »Als normale Arbeit würde ich das eigentlich nicht bezeichnen«, sagt Catherine.
    »Ich würde das auch nicht als normales Leben bezeichnen«, sagt mein Ich, das im Käfig kauert.
    Ich sehe Roberto an, der auf der Treppe sitzt, den Kopf an die Wand gelehnt. Er wirkt erschöpft und schwermütig. »Und«, frage ich ihn. »Setzt du mich jetzt vor die Tür?«
    Roberto seufzt. »Nein. Nein, Henry, ich setze dich nicht vor die Tür.« Vorsichtig steht er auf, wischt sich den Mantel hinten ab. »Aber ich verstehe nicht, warum du mir das alles nicht schon längst erzählt hast.«
    »Du hättest mir nicht geglaubt«, sagt mein Ich. »Eben hast du mir auch nicht geglaubt, bis du es mit eigenen Augen gesehen hast.«
    »Nun, ja...«, setzt Roberto an, doch seine nächsten Worte gehen in dem seltsamen Geräuschvakuum unter, das mein Kommen und Gehen manchmal begleitet. Ich drehe mich um und sehe einen Kleiderhaufen auf dem Käfigboden liegen. Später am Nachmittag werde ich wiederkommen und die Sachen mit einem Kleiderbügel herausfischen. Ich wende mich zu Matt, Roberto und Catherine, die sehr verwirrt aussehen.
    »Mann«, sagt Catherine. »Das ist ja, als würde man mit Clark Kent Zusammenarbeiten.«
    »Ich komme mir vor wie Jimmy Olsen«, erwidert Matt. »Igitt.«
    »Dann bist du Lois Lane«, frotzelt Roberto mit Catherine.
    »Nein, nein, Clare ist Lois Lane«, entgegnet sie.
    »Aber Lois Lane ahnte nichts von der Clark Kent/Superman-Verbindung«, widerspricht Matt, »wohingegen Clare...«
    »Ohne Clare hätte ich schon lange aufgegeben«, sage ich. »Mir war nie klar, warum Clark Kent so versessen darauf war, Lois Lane im Dunkeln zu lassen.«
    »Das ist gut für die Story«, sagt Matt.
    »Wirklich? Da bin ich mir nicht so sicher«, erwidere ich.
Freitag, 7. Juli 2006 (Henry ist 43)
     
    Henry: Ich sitze in Kendricks Praxis und höre mir seine Erklärung an, warum es nicht funktioniert. Draußen herrscht brütende Hitze, man fühlt sich wie in heiße Wolle eingewickelt. Hier drinnen ist die klimatisierte Luft so kühl, dass ich mit Gänsehaut auf meinem Platz kauere. Wir sitzen uns in den gleichen Stühlen gegenüber wie immer. Auf dem Tisch steht ein Aschenbecher voll Kippen. Kendrick hat sich eine Zigarette an der vorhergehenden angezündet. Wir sitzen bei ausgeschaltetem Licht, die Luft ist gesättigt mit Qualm und Kälte. Ich möchte einen Drink. Ich möchte schreien. Ich

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