Die Frau des Zeitreisenden
möchte, dass Kendrick aufhört zu reden, damit ich ihm eine Frage stellen kann. Ich möchte aufstehen und rausgehen. Aber ich bleibe sitzen und höre zu.
Als Kendrick verstummt, werden plötzlich die Hintergrundgeräusche im Gebäude wahrnehmbar.
»Henry? Hast du mich verstanden?«
Ich richte mich auf und sehe ihn an wie ein Schulkind, das beim Tagträumen ertappt wurde. »Ähm, nein.«
»Ich hab dich gefragt, ob du verstanden hast, weshalb es nicht funktioniert.«
»Ja, klar.« Ich versuche meine Sinne zusammenzunehmen. »Es funktioniert nicht, weil mein Immunsystem völlig im Arsch ist. Und weil ich alt bin. Und weil zu viele Gene mit im Spiel sind.«
»Genau.« Kendrick seufzt und drückt seine Zigarette in dem Kippenhaufen aus. Rauchwolken steigen auf und ersterben. »Es tut mir Leid.« Er lehnt sich im Stuhl zurück, faltet seine weichen rosigen Hände im Schoß. Mir fällt unsere erste Begegnung hier in diesem Büro ein, vor acht Jahren. Damals waren wir beide noch jünger und kecker, wir vertrauten in die Möglichkeiten der Molekulargenetik, waren nur zu bereit, die Natur mit Hilfe der Wissenschaft auszutricksen. Ich denke daran, wie ich Kendricks zeitreisende Maus in den Händen hielt, an die Hoffnung, die damals in mir aufkeimte, als ich meine kleine weiße Stellvertreterin betrachtete. Ich stelle mir Clares Gesichtsausdruck vor, wenn ich ihr sage, dass es nicht funktioniert. Aber sie hat ohnehin nie daran geglaubt.
Ich räuspere mich. »Was ist mit Alba?«
Kendrick schlägt die Füße über Kreuz und rutscht hin und her. »Was soll mit Alba sein?«
»Könnte es bei ihr funktionieren?«
»Das werden wir wohl nie erfahren. Es sei denn, Clare überlegt es sich anders und lässt mich mit Albas DNA arbeiten. Und wir beide wissen ganz genau, dass Clare entsetzliche Angst vor einer Gentherapie hat. Immer wenn ich das Thema bei ihr anschneiden will, schaut sie mich an, als wäre ich Josef Mengele.«
»Aber wenn du Albas DNA hättest, könntest du mit Mäusen arbeiten und ein Mittel für Alba entwickeln, das sie, wenn sie will, mit achtzehn ausprobieren kann.«
»Ja.«
»Auch wenn für mich also alles zu spät ist, könnte Alba eines Tages davon profitieren.«
»Genau.«
»Also gut.« Ich stehe auf, reibe meine Hände aneinander und zupfe mir das Baumwollhemd an den Stellen vom Körper, wo es durch den mittlerweile kalten Schweiß festgeklebt ist. »Dann werden wir das tun.«
Freitag, 14. Juli 2006 (Clare ist 35, Henry 43)
Clare: Ich bin im Atelier und mache gampi, ein Papier, das so dünn und transparent ist, dass man hindurchsehen kann. Ich tauche die Schöpfform in die Wanne, hole sie wieder hoch und schwenke die dünnflüssige Pulpe herum, bis sie gleichmäßig verteilt ist. Dann setze ich die Schöpfform zum Abtropfen auf den Rand der Wanne. Ich höre Alba lachen, Alba rennt durch den Garten, Alba ruft: »Mama! Schau, was Daddy mir geschenkt hat!« Sie platzt zur Tür herein und trampelt auf mich zu, Henry folgt ihr etwas gelassener. Ich blicke nach unten, um festzustellen, warum sie so trampelt, und sehe: rubinrote Schuhe.
»Genau wie die von Dorothy!«, sagt Alba und vollführt einen kleinen Stepptanz auf dem Holzfußboden. Sie schlägt auch dreimal die Hacken zusammen, verschwindet allerdings nicht. Aber sie ist ja auch schon zu Hause. Ich muss lachen. Henry scheint sich zu freuen.
»Bist du bei der Post gewesen?«, frage ich ihn.
Er macht ein schuldbewusstes Gesicht. »Mist. Nein, hab ich vergessen. Tut mir Leid. Gleich morgen früh gehe ich hin.« Alba wirbelt herum, aber Henry packt sie und hält sie auf. »Nicht, Alba. Sonst wird dir schwindlig.«
»Mir gefällt es, wenn mir schwindlig ist.«
»Aber es ist nicht gut.«
Alba trägt ein T-Shirt und Shorts. In ihrer Ellbogenbeuge klebt ein Pflaster. »Was ist mit deinem Arm passiert?«, frage ich sie. Statt mir zu antworten, schaut sie zu Henry, genau wie ich.
»Nicht weiter schlimm«, sagt er. »Sie hat an ihrer Haut gesaugt und sich einen Knutschfleck gemacht.«
»Was ist ein Knutschfleck?«, fragt Alba. Henry will es ihr erklären, aber ich sage: »Seit wann braucht man bei einem Knutschfleck ein Pflaster?«
»Keine Ahnung«, antwortet er. »Sie wollte eben eins.«
Mich beschleicht eine Ahnung. Vielleicht ist es der sechste Sinn von Müttern, jedenfalls gehe ich zu Alba. »Zeig mal.«
Sie zieht ihren Arm eng an sich, hält ihn mit der Hand fest. »Nimm das Pflaster nicht ab. Das tut weh.«
»Ich bin ganz vorsichtig.« Ich
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