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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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Nancy hat eine Flasche Peppermint Schnaps dabei, aus der jede einen Schluck trinkt. Er schmeckt scheußlich und fühlt sich in der Brust an wie Wiek VapoRub. Dann spielen wir Tat oder Wahrheit. Ruth verlangt von Wendy, dass sie ohne Oberteil durch den Flur rennt. Wendy fragt Francie, welche BH-Größe deren siebzehnjährige Schwester Lexie hat. (Antwort: 95D.) Francie will von Gayle wissen, was sie letzten Samstag mit Michael Plattner im Dairy Queen gemacht hat. (Antwort: Eis essen. Na, was denn sonst.) Nach einer Weile finden wir Tat oder Wahrheit langweilig, weil es nämlich nicht leicht ist, sich gute Taten auszudenken, die wir auch wirklich ausführen, und weil wir das Wichtigste sowieso voneinander wissen, da wir schon seit dem Kindergarten gemeinsam zur Schule gehen. Mary Christina sagt: »Wir spielen Ouijatafel«, und alle sind einverstanden, denn es ist ja ihre Party, außerdem ist Ouija spielen cool. Sie holt es aus dem Schrank. Die Schachtel ist ganz zerdrückt, und auf dem kleinen Plastikteil, das die Buchstaben zeigt, fehlt das Fenster. Henry hat mir mal erzählt, dass er bei einer Séance war, bei der das Medium mitten in der Sitzung Blinddarmdurchbruch hatte und sie einen Krankenwagen rufen mussten. Da immer nur zwei Leute gleichzeitig spielen können, beginnen Mary Christina Und Helen. Der Regel zufolge muss man seine Frage laut stellen, sonst funktioniert es nicht. Beide legen sie ihre Finger auf das Plastikteil. Helen sieht Mary Christina an, die zögert, und Nancy sagt: »Frag nach Bobby«, also fragt Mary Christina: »Mag mich Bobby Duxler?« Alle kichern. Die Antwort lautet nein, aber mit ein bisschen Schieben von Helen sagt das Ouija ja. Mary Christina strahlt so glücklich, dass man oben und unten ihre Zahnspangen sieht. Helen fragt, ob irgendwelche Jungs sie mögen. Das Ouija dreht sich eine Weile und hält dann bei D, A, V. »David Hanley?«, sagt Patty, und alle lachen. Dave ist der einzige schwarze Junge in unserer Klasse. Er ist sehr schüchtern und klein und gut in Mathe. »Vielleicht hilft er dir ja bei der ungekürzten Division«, sagt Laura, die auch sehr schüchtern ist. Helen lacht. In Mathe ist sie eine Null. »Komm, Clare. Jetzt du und Ruth.« Wir nehmen Helens und Mary Christinas Plätze ein, und Ruth sieht mich an, aber ich zucke nur die Schultern. »Mir fällt nichts ein«, sage ich, und alle kichern. Was soll man hier schon fragen? Dabei gibt es so vieles, was ich wissen möchte. Wird es mit Mama wieder besser? Warum hat Daddy heute früh Etta angeschrien? Ist Henry wirklich ein Mensch? Wo hat Mark meine Französischhausaufgabe versteckt? Ruth sagt: »Welche Jungs mögen Clare?« Ich werfe ihr einen bösen Blick zu, aber sie grinst nur. »Interessiert dich das denn nicht?«
    »Nein«, sage ich, lege aber dennoch meine Finger auf das weiße Plastik. Ruth legt ihre auch drauf, aber nichts rührt sich. Wir beide berühren das Teil nur ganz leicht, wir wollen es richtig machen und nicht schieben. Dann beginnt es sich langsam zu bewegen, hält bei H. Es wird schneller. E, N, R, Y. »Henry«, sagt Mary Christina, »wer ist Henry?« Helen sagt: »Ich weiß es nicht, aber du wirst ja rot, Clare. Wer ist denn nun Henry?« Ich schüttle nur den Kopf, so als stünde auch ich vor einem Rätsel. »Jetzt kommst du, Ruth.« Sie fragt (große Überraschung), wer sie mag, und das Ouija buchstabiert R, I, C, K. Ich spüre, wie sie schiebt. Rick ist Mr Malone, unser Naturkundelehrer, der in unsere Englischlehrerin Miss Engle verknallt ist. Alle lachen, nur Patty nicht, die auch in Mr Malone verknallt ist. Ruth und ich stehen auf, Laura und Nancy setzen sich. Nancy sitzt mit dem Rücken zu mir, darum kann ich ihr Gesicht nicht sehen, als sie fragt: »Wer ist Henry?« Alle sehen mich an und werden mucksmäuschenstill. Ich beobachte das Brett. Nichts. Gerade als ich mich in Sicherheit wähne, beginnt das Plastikteil sich zu bewegen. Es zeigt auf H. Vielleicht, überlege ich, buchstabiert es ja einfach wieder Henry. Nancy und Laura wissen schließlich nichts von Henry. Ich weiß ja selbst nicht allzu viel über ihn. Dann geht es weiter: U, S, B, A, N, D. Alle starren mich an. »Ich bin doch gar nicht verheiratet, schließlich bin ich erst elf.«
    »Aber wer ist Henry?«, grübelt Laura. »Ich weiß es nicht. Vielleicht jemand, den ich noch gar nicht kenne.« Sie nickt. Alle sind fassungslos, genau wie ich. Ehemann? Unglaublich.
Donnerstag, 12. April 1984 (Henry ist 36, Clare 12)
     
    Henry: Clare und

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