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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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Was soll ich sonst sein?«
    »Ich weiß nicht. Ein Geist?«
    »Ich bin wirklich ein Mensch, Clare.«
    »Beweis es mir.«
    »Wie denn?«
    »Keine Ahnung.«
    »Ich meine, du kannst doch auch nicht beweisen, dass du ein Mensch bist, Clare.«
    »Klar kann ich.«
    »Und wie?«
    »Ich bin eben wie ein Mensch.«
    »Das bin ich auch.« Komisch, dass Clare darauf zu sprechen kommt; 1999 führen Dr. Kendrick und ich philosophische Grabenkämpfe über eben dieses Thema. Kendrick ist überzeugt, dass ich der Vorbote einer neuen Spezies von Mensch bin und mich vom landläufigen Volk unterscheide wie der Cro-Magnon von seinen benachbarten Neandertalern. Ich behaupte, dass ich nur ein Mann mit verkorkstem Gen-Code bin, und unsere Unfähigkeit, Kinder zu bekommen, beweist, dass ich offenbar nicht das fehlende Glied bin. Mit grimmigen Gesichtern werfen wir uns Zitate von Kierkegaard und Heidegger um die Ohren. Unterdessen mustert mich Clare zweifelnd.
    »Menschen kommen und gehen nicht einfach so wie du. Du bist wie die Cheshire Cat in Alice im Wunderland.«
    »Willst du damit andeuten, dass ich eine Gestalt aus der Literatur bin?« Endlich komme ich auf den richtigen Zug: Turm nach a3. Jetzt kann sie meinen Läufer kassieren, wird dabei aber ihre Dame los. Clare braucht eine Weile, bis sie das erkennt, und als sie es tut, streckt sie mir die Zunge raus, die von den vielen Tortillachips bedenklich orange ist.
    »Irgendwie muss ich jetzt neu über Märchen nachdenken. Im Ernst, wenn es dich wirklich gibt, warum sollten dann nicht auch Märchen wahr sein?« Clare steht auf, ohne das Brett aus den Augen zu lassen, sie führt einen kleinen Tanz auf und hüpft herum, als stünde ihre Hose in Flammen. »Ich glaube, der Boden wird immer härter. Mein Hintern ist eingeschlafen.«
    »Vielleicht sind sie ja wahr. Oder eine Kleinigkeit in ihnen, und den Rest hat man einfach hinzugefügt, verstehst du?«
    »Zum Beispiel, dass Schneewittchen im Koma lag?«
    »Und Dornröschen auch.«
    »Und Jack in der Riesenbohne war nur ein begnadeter Gärtner.«
    »Und Noah ein komischer alter Kauz mit einem Hausboot und vielen Katzen.«
    Clare sieht mich an. »Noah kommt in der Bibel vor und nicht im Märchen.«
    »Stimmt. Entschuldige.« Mein Hunger wird immer größer. Nell kann jeden Moment die Essensglocke läuten, dann muss Clare ins Haus zurück. Sie setzt sich wieder auf ihre Seite des Bretts. Ihr Interesse an dem Spiel ist sichtlich erloschen, denn sie fängt an, eine kleine Pyramide aus den eroberten Figuren zu bauen.
    »Du hast noch nicht bewiesen, dass es dich wirklich gibt«, sagt Clare.
    »Du aber auch nicht.«
    »Zweifelst du denn manchmal, dass es mich gibt?«, fragt sie mich überrascht.
    »Vielleicht träume ich dich ja nur. Oder vielleicht träumst du mich nur; vielleicht gibt es uns nur im Traum des jeweils anderen, und jeden Morgen, wenn wir aufwachen, vergessen wir einander.«
    Clare runzelt die Stirn und winkt ab, als wollte sie diese seltsame Idee verscheuchen. »Kneif mich«, fordert sie mich auf. Ich beuge mich vor und kneife sie leicht in den Arm. »Fester!« Ich kneife sie erneut, diesmal so fest, dass ein weißroter Streifen zurückbleibt, der ein paar Sekunden zu sehen ist, bevor er verschwindet. »Meinst du etwa, ich würde nicht aufwachen, wenn ich schlafen würde? Jedenfalls fühlt es sich gar nicht so an, als würde ich schlafen.«
    »Und ich fühle mich nicht wie ein Geist. Oder wie eine literarische Figur.«
    »Woher willst du das wissen? Angenommen, ich hätte dich erfunden und wollte nicht, dass du es weißt, dann würde ich es dir doch nicht sagen, oder?«
    Ich zwinkere ihr zu. »Vielleicht hat Gott uns nur erfunden und verrät es uns nicht.«
    »So was solltest du nicht sagen«, ruft Clare aus. »Außerdem glaubst du gar nicht an Gott, oder?«
    Ich zucke die Schultern und wechsle das Thema. »Jedenfalls bin ich wirklicher als Paul McCartney.«
    Clare macht ein besorgtes Gesicht. Sie packt die Figuren wieder in die Schachtel, sorgfältig nach Schwarz und Weiß getrennt. »Paul McCartney kennen viele - von dir weiß nur ich.«
    »Aber mir bist du wirklich begegnet, ihm noch nie.«
    »Meine Mom war mal bei einem Beatles-Konzert.« Sie schließt den Deckel des Schachspiels, legt sich der Länge nach auf die Erde und starrt in den Baldachin aus frischen Blättern empor. »Im Comiskey Park in Chicago, am 8. August 1965.« Ich pikse sie in den Bauch, und sie rollt sich zusammen wie ein Igel und kichert. Nach einer Runde Kitzeln

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